Roadtrip, Stopp 1: PURS, Andernach
Nach mehreren, in den vergangenen Jahren immer wieder verworfenen Reiseplänen nach Andernach, starte ich meine erste kulinarische Reise während der Corona-Pandemie nun endlich in Richtung der 2032 Jahre alten Stadt am Rhein. Ziel ist das PURS, das mich allein schon wegen der Innenarchitektur von Axel Vervoordt interessiert.
Von Hamburg aus erreiche ich mein Ziel nach ungefähr fünf Stunden. Als ich nach dem Ankommen im schönen Innenhof den ersten Begrüßungsdrink zu mir nehme ‒ ein kühler, erfrischender Winzersekt mit Holunder, Thymian und Rosmarin ‒, ist die lange Anfahrt bereits entlohnt.
Hätte ich besser recherchiert, wäre ich auch darauf gestoßen, dass sich nur einen Steinwurf entfernt weitere spannende Restaurants wie das italienische Ai Pero und das asiatische Yoso befinden. Auch hinter diesen Restaurants steckt die Inhaberfamilie Doetsch, und auch diese Restaurants sind so geschmackvoll und einladend gestaltet als stünden sie in TriBeCa, New York.
Zu der schlichten Gestaltung des restlichen Hauses setzen später im Restaurant Rottöne und ein Steinfußboden Akzente. Eine verglaste Wand gibt den Blick auf die Küche frei. Mein Tisch steht wunschgemäß direkt an einer geöffneten Terrassentür, und eine leichte Brise sorgt für das richtige Klima in Pandemiezeiten.
Zu den ersten Einstimmungen sitzt man an diesem Sommerabend noch draußen am weitläufigen Holztresen. Die drei Kleinigkeiten thematisieren jeweils die drei Restaurants der Eigentümer: das PURS selbst wird durch einen Roggen-Chip mit Gurkenrelish, gebeiztem Seeteufel und Kräutern repräsentiert ‒ leicht und knusprig, sehr elegant (7,5/10) ‒, das asiatische Yozo wird vertreten von (nicht zu) würzigem, lackiertem Schweinebauch auf einem Shiso-Blatt ‒ süffig, zart, raffiniert gewürzt (7,5/10) ‒, und das Ai Pero sticht hervor mit einem Focaccia-Chip mit sphärisierter, pikant gewürzter Minestrone, dazu geräucherter Büffelmozzarella und Basilikum für ein hervorragend zur Schau gestelltes, „typisch italienisches“ Geschmacksbild (8/10).
Die Weinberatung von Marian Henß (ehemals aus dem Cinco in Berlin) bereitet dazu Laune. Schon der offen servierte 2011er „Athénaïs“ Chablis Grand Cru „Les Preuses“ vom Chateau de Béru (Glas € 24), mit dem ich die ersten Gänge begleite, zeigt ein geschicktes Händchen des Sommeliers in Sachen Burgund, wie die weiteren Positionen der Karte bestätigen. Ich wähle dazu noch eine Flasche 2014er Chambolle-Musigny 1er Cru „Les Cras“ von Georges Roumier (€ 299), ein rarer Fund in deutschen Weinkarten.
Die Speisekarte selbst ist flexibel, man kann sich aus jeweils drei Vor-, Zwischen-, Haupt- und Nachspeisen ein Menü zwischen fünf (€ 165) und sieben (€ 195) Gängen zusammenstellen. Die Gerichte sprechen „Produkt-Französisch“, vom Loup de Mer über St. Pierre bis zum Käse von Antony.
Die Küche schickt noch einen weiteren Gruß, es gibt geeisten Büffelmozzarella mit Erdbeersauce (!), Schinken und Osietra-Kaviar. Überraschend geschickt werden hier Fruchtsüße und Herzhaftigkeit miteinander kombiniert. Das durch den Kaviar noch mal unterstrichene Salz des qualitativ exzellenten Schinkens passt hervorragend zur Erdbeere, die behutsamen Temperaturkontraste bieten weitere Spannung. (7,9/10)
Der erste Gang meiner Menüauswahl besteht aus geflämmtem und mariniertem Wolfsbarsch. Drei größere Scheiben davon sind auf einem grünen Ensemble gebettet, dass es nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich in sich hat. Eine Kombination aus fermentierten Erbsen mit Ingwer-Sud und Minzcreme schmeckt frisch und „grün“ und geizt dabei nicht mit (etwas zu) intensiven ätherischen Aromen. Eine elegante Süße wie bei den spanischen Vorzeigeerbsen guisantes hätte mir hier besser gefallen, dennoch ist das hervorragend, vor allem die Qualität des Fischs. (7,9/10)
Bretonischen Hummer findet man beim nächsten Gang mit einem Pinienkern-Porridge und Yuzu-Beurre-Blanc sowie mit feinen Scheiben geräuchertem weißem Spargel vor, der in brauner Butter gebraten wurde. Von frischer Yuzu ist hier zwar keine Spur, dennoch gelingt der Einsatz des fernöstlichen Zitrusaromas. Gekonnt wird mit leichter Süße und appetitanregender Säure jongliert, gleichzeitig sind Beurre Blanc makellos umgesetzt, und der Hummer ist qualitativ exzellent. Eine rote Creme mit Hummer-Corail scheint dazu jedoch nichts Wesentliches beizutragen. (8/10)
Dem noch immer anhaltenden Trend in der deutschen Spitzengastronomie, asiatische Zitrusfrüchte, besonders Yuzu, in den Zutaten von Gerichten aufzusagen, stehe ich nach wie vor kritisch gegenüber. So gut wie nie gelangen hierfür frische Früchte zum Einsatz, doch gerade deren geraspelte Schale liefert meist erst das verführerische, blumig-frische Aroma. Yuzu, Sudachi, Kabosu u. a.: gerne, aber bitte frisch. Die Spitzengastronomie sollte schließlich gerade der Ort sein, um solche Produkte kennen zu lernen. Dass eine Beschaffung kein Problem sein sollte, zeigt ein Blick ins Ausland. Von Kalifornien über Stockholm bis Hongkong sieht man die Früchte in jeder kreativen Spitzenküche.
In Olivenöl confierter Petersfisch ‒ zart, saftig und heiß ‒ wird beim nächsten Gang mit Paprika in verschiedenen Zubereitungen kombiniert, u. a. in Form eines mit Himbeeressig aromatisierten Paprikajus, schlicht geschmort sowie als Creme mit Piment d’Espelette. Eine Scheibe dünner Tintenfischstückchen ergänzt das gelungen mediterrane Geschmacksbild, das trotz des makellosen Fischs ein bisschen zu einseitig nach Paprika schmeckt. Das wäre alles noch sehr gut, aber leider ist das Gericht in Summe komplett versalzen. Ein merkwürdiger Fauxpas. (6,9/10)
Nach dem kleinen, aber die Stimmung nicht trübenden Lapsus folgt Dorade, schön knusprig auf der Haut gebraten, innen weiß und saftig und mit diesem unverkennbar mediterranen „Hafenbecken-Aroma“. Das ist im positivsten Sinn gemeint und transportiert mich gedanklich an eine Marina am Mittelmeer. Geschmorte Aubergine und Zucchini sowie eine Tandoori-Beurre-Blanc ergänzen den schlichten, aber hervorragenden Gang, der die inzwischen dritte rote Thermomixcreme jedoch entbehren könnte. (8/10)
In Miso gebeiztes Landei auf einer Graupen-Speck-Creme mit Kohlrabi in verschiedenen Zubereitungen schmeckt süffig, cremig, bietet frische Akzente und lebt besonders von einer Spannung zwischen feiner Süße und präzisem Salz. Abermals hervorragend. (8/10)
Perlhuhn der französischen Züchter Miéral ist für den folgenden Gang eine Woche gereift, in brauner Butter sous-vide gegart und knusprig nachgebraten. Diese Methode resultiert in einem zarten, saftigen Stück; das Fett unter der knusprigen Haut unterstreicht den nussigen Reifegeschmack. Während ein sehr gut abgeschmeckter Perlhuhnjus dazu ganz klassisch daher kommt, steuern ein Hühnerhautchip mit Ananas und eine Currycreme das Gericht in eine überzeugende exotische Richtung. Das schmeckt sehr gut und stellt ein abermals makelloses Produkt in den Mittelpunkt; lediglich die erneute Zur-Schau-Stellung einer Creme aus dem Thermomix ist etwas repetitiv. (7,9/10)
Ein Pré-Dessert kommt in Form einer frisch-fruchtigen Variation vom Pfirsich, unter anderem als „Ragout“, Sorbet, Sud und gegrillt, mit Olivenöl, junger Olive, Rosmarin und Champagner. Die unterschiedlichen Texturen von flüssig über cremig und stückig bis knusprig folgen dem Duktus eines „kreativen“ Desserts, bei dem man sich besonders über den authentischen Pfirsichgeschmack freut und die ungewöhnliche, knackig-herbe Olivenscheibe. (7/10)
Einen gewohnt wunderbaren Teller Käse von Bernard Antony lasse ich mir auch hier nicht entgehen. Dabei hätte ich es belassen sollen. Die ‒ einer kleinen Schatztruhe entnommenen ‒ Pralinen schmecken seltsam artifiziell (6/10). Ich kann mir kaum vorstellen, dass selbst jemand in der Patisserie wirklich Gefallen daran findet.
Ungeachtet dessen liegt ein unbeschwertes Essen hinter mir, das Freude bereitet hat. Eine im Kern französische Küche wird hier mit guten Produkten spannungsvoll inszeniert, setzt dabei aber überwiegend auf die Wirkung von kräftigen Geschmacksbildern und Küchentechnik als auf die (vorhandene) Güte einzelner Spitzenzutaten. Die französische Grundausrichtung der Küche wird dadurch eindeutig nach Deutschland verortet, was in Andernach natürlich auch mehr als legitim ist.
Das Frühstück am nächsten Morgen ist eines der besten, die ich seit langem serviert bekommen habe. Am liebsten würde ich gleich hierbleiben, mich von allen gestalterischen Details des Hauses und dem charmanten Service weiter einlullen lassen und mich durch die weiteren Restaurants des Hauses probieren. Aber es geht weiter. Auf ins Elsass!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | PURS (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Christian Eckhardt |
Ort: | Andernach, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 11.07.2020 |
Guide Michelin (D 2020): | ** |
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