Little Pearl ‒ Sterneküche demokratisch
Meine Leier, dass Sterneküche nichts mit luxuriösem Ambiente zu tun haben muss, nicht einmal etwas mit klassischen gastronomischen Abläufen oder Konzepten, bekommt mit meiner Reservierung in Washington D.C.s Little Pearl neues Futter.
Die „kleine Perle“ ist eines der von der Rose Restaurant Group betriebenen Restaurants in D.C., die alle mit Michelin-Sternen ausgezeichnet sind. Offenbar kennt man sich mit ausgezeichneten Gastronomiekonzepten dort aus. Für den heutigen Abend steht schon meine Reservierung im Pineapple & Pearls.
Am Mittag schlendere ich im schmucken Viertel Capitol Hill erst einmal zielsicher zum Little Pearl, ungewiss, was mich erwarten wird. Das Restaurant hatte ich mir bereits vor Wochen als Walk-in-Option herausgesucht.
Ein kleines Gebäude mit weißer Backsteinfassade und schwarz verkleidetem Wintergarten lässt zunächst einen erkennbaren Eingang vermissen. Ich finde ihn jedoch neben dem Wintergarten, in Form der typisch amerikanischen Eingangsschleuse.
In dem wohnhausartigen Gebäude empfängt mich dann eine kurze Schlange wartender Gäste vor einem Tresen mit Kassiersystem und Kaffeemaschine. Ich erkundige mich kurz nach dem Restaurantbereich, um nur herauszufinden, dass alles hier beginnt. Man bestellt seine Speisen und Getränke einfach hier im Eingangsbereich. Die inhaltlich und grafisch ansprechende Speisekarte, die auf eine Seite passt, finde ich dann auch in einem Ständer hinter mir. Nach Bestellung und Bezahlung sucht man sich einen Platz in einem der verschiedenen Räume. Effizient abkassieren, das können die Amerikaner.
Ich finde schließlich einen Platz im Wintergarten. Das Restaurant scheint besonders bei Nachbarn und bei Studenten ein Hotspot zu sein. Man sieht viele junge Leute mit Laptops oder Büchern, in denen fleißig gemarkert wird. Studenten im Sternerestaurant, das gibt es bei uns nur in Zusammenhang mit Papas Porsche.
Ich habe ein bisschen was Herzhaftes bestellt. Da ich auf ausgiebiges Frühstück fast immer verzichte, bringe ich um diese Zeit guten Appetit mit.
Ein Paar Tostadas ($ 12, ca. € 11) kommt mit der lateinamerikanischen Grundzutat frijoles refritos, also gerösteten und zerkleinerten braunen Bohnen, knackigen Radieschenscheiben und geriebenem Cotija-Käse. Etwas Koriander dazu ‒ und vor allem die Limette, die man einfach nach Belieben drüberträufelt ‒ lassen mich vor Genuss die Augen schließen. Das schmeckt so präzise nach tropischen Breitengraden, dass mir ein Schauder über den Rücken läuft. Man kann so etwas Triviales so gut machen! (7/10)
Ein Salat mit Lammfrikadellen und Dinkel kommt mit makellos frischen gemischten Salatblättern, hausgemachtem (!) Joghurt und Pinienkernen. Etwas Minze dazu ergibt ein orientalisches und sommerliches Gericht. Das ist mit jeder erfreuenden Geschmacksnuance am Gaumen alles andere als ein trivialer Salat. Für ebenfalls umgerechnet € 11 ein Schnäppchen. (7/10)
Der Cheeseburger (ca. € 12) steht nicht auf der Karte, doch ich sah ihn aus dem Augenwinkel über einen Teller huschen und bestellte ihn gleich mit. Der Klassiker des Hauses kommt mit glänzenden, briocheähnlichen buns, dazwischen pures Burgerglück. Zwei Lagen mit geschmolzenem Käse umhüllte, saftige Rindfleischfrikadellen, eingelegte Gurken, Blattsalat und eine verführerisch süffige Sauce machen dieses Exemplar zweifellos zu einer Referenz von mir. (7/10)
Und da das hier alles so viel Spaß macht, bestelle ich noch eine weitere Variante davon, hier jedoch Sandwich und nicht Burger genannt. Diese Version des Brötchens kommt mit denselben guten buns und Gurken, dazwischen aber mit knusprigem, in Zwiebeln goldbraun geröstetem, ungemein zartem Hühnchen. Eine „jemenitische scharfe Sauce“ auf der Basis von Jalapeños und Knoblauch hält, was sie verspricht. Knusprig, scharf, saftig, fettig, dennoch nuanciert ‒ schlicht der Hammer. (7/10)
Es ist in keiner Weise übertrieben, all diese Speisen auf dem Niveau eines Sterns zu bewerten. Abends geht es hier, wie ich erfahre, etwas anders zu, da gibt es dann Tasting-Menüs ‒ genauso leger und ebenso hochwertig.
Selbst der Espresso zum Abschluss ist sehr gut.
Diese Art von ungezwungener Gastronomie, die man in dieser Form und kulinarischen Qualität fast nur in den USA vorfinden kann, reizt mich inzwischen genauso wie ein mehrgängiges „Fine Dining“-Menü am Abend. Aber darauf freue ich mich jetzt auch schon riesig. In ein paar Stunden habe ich sicher wieder Appetit. Wie sollte ich auch nicht?
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Little Pearl (→ Website) |
Chef de Cuisine: | BJ Lieberman |
Ort: | Washington, D.C., USA |
Datum dieses Besuchs: | 07.03.2020 |
Guide Michelin (Washington, D.C. 2020): | * |
Meine Bewertung dieses Essens | |
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