Enrico Bartolini al Mudec ‒ schlemma Italia!
Es ist Anfang Februar, und mein Flugziel Mailand hat gerade noch genauso wenig mit einem Corona-Virus zu tun wie der Karneval. Gerade noch mal Glück gehabt.
Italiens neustes Drei-Sterne-Restaurant befindet sich im Museo delle Culture, kurz Mudec, daher auch der Zusatz im Restaurantnamen. Bevor der Guide Michelin mit der neuen Auszeichnung für entsprechende Aufmerksamkeit sorgte, war mir Enrico Bartolini kein Begriff. Er zählt jedoch zu Italiens erfolgreichsten Köchen und betreibt mehrere besternte Restaurants.
Das vom Architekturbüro David Chipperfield gestaltete Museum bietet spannende Architektur. Es lohnt sich, vor einer Reservierung noch etwas davon aufzusaugen, was in einigen Bereichen des Hauses sogar kostenlos möglich ist.
Das Restaurant selbst befindet sich im dritten Obergeschoss. Modernes Design mit klaren Linien und gedeckten Farben prägen den Eingangsbereich, in dem ich noch kurz Platz nehme, bis mein Tisch fertig ist. Ich bin ein paar Minuten zu früh vor der Öffnungs- und Reservierungszeit um halb acht.
Der Speisesaal ist ebenfalls angenehm gestaltet. Große runde Tische mit schwerem weißem Tischtuch setzen klassische Akzente in einem ansonsten eher technischen Ambiente.
Als Aperitif wähle ich ein Glas Weißwein nach der Empfehlung des Sommeliers, ein Costa del Vento vom Weingut Vigneti Massa (€ 20). Die mir bisher nicht sehr geläufige Rebsorte Timorasso gefällt mir gut und erscheint mir als authentischere Option im Vergleich zur Wahl vom Champagnerwagen.
Die Speisekarte bietet drei Menüs (€ 180‒225) mit unterschiedlicher Ausrichtung, ich wähle jedoch à la carte, oft eine Präferenz von mir.
Amuse-Bouches kommen auf vier Tellern. Einen luftigen, etwas säuerlich schmeckenden Teigball mit Kürbis und Ingwer stippt man häppchenweise in ein Schälchen mit toskanischem Olivenöl und Kastaniencreme. Das schmeckt gut, ist aber für sich allein betrachtet noch kein Highlight (6,9/10).
Die Hoffnung auf Steigerung erfüllt sich schnell mit einem säuerlich-süffigen Süppchen auf Grapefruit- und Krustentierbasis. Darin findet man eine am Gaumen aufplatzende Sphäre mit Auberginenfüllung ‒ rauchig, erdig, intensiv ‒, ein Sashimi von Garnelen, die in dem Sud leicht nachgaren und dekadent mit Kaviar gewürzt sind, sowie ‒ scheinbar trivial, aber alles entscheidend ‒ ein paar winzige Stücke knackiger Prinzessbohnen, die das Gericht auf charmante Weise erden. Ganz ausgezeichnet. (8,9/10)
Es folgt ein Cracker aus schwarzem Reis mit einer Creme aus Safran und Blattgold. Der knusprige Snack schlägt am Gaumen ein wie ein Blitz: der intensive Safran bringt orientalische Hitze, eine Art metallischen Geschmack wie bei einem Stromschlag und dabei paradoxerweise einen Genuss zum Augenschließen. (9/10)
Der Rotwein bereitet derweil ein wenig Kopfzerbrechen. Ein 1990er Barolo „Bric dël Fiasc“ von Paolo Scavino ist leider schon über seinem Zenit, eine Einschätzung, zu der ich erst nach ein paar Schlucken gelange und den netten Sommelier um Rat bitte. Die Lösung ist wenig später ein junger, aber sehr zugänglicher 2013er Barolo „Colonnello“ von Aldo Conterno (€ 245). Italienisch muss es heute schon sein.
Ein weiteres Amuse-Bouche folgt in Form eines leichten, perfekt gewürzten Kartoffelschaums mit diversen Mitspielern. Kleine, rohe Garnelen mit wundervoller Süße, knackiger grüner Spargel, eine herzhafte Champignonessenz und salziger Lachsrogen ergeben eine harmonische wie spannungsvolle Komposition. Yuzu frischt das Gericht auf, das ich mir lediglich ein paar Grad wärmer hätte vorstellen können. Dennoch große Klasse. (8,9/10)
Der erste von mir ausgewählte Gang ist eine Kreation um Austern, Sardellen und Kaviar (€ 65). Das Gericht ist noch anspruchsvoller als es die maritimen Zutaten suggerieren. Drei fleischige, ausgelöste Austern von imposanter Größe sind jeweils auf Sardellenfilets gebettet und mit kostbaren Stör- und Schneckeneiern dekoriert. Bereits diese Komposition ist ein Meeresspaziergang von frappierender Intensität. Eiskraut, Dill und Bete schmecken dazu regelrecht geheimnisvoll. Die üppige A-la-carte-Portion ist etwas fordernd, doch Qualitäten und Handwerk sprechen die Sprache der besten Küchen dieser Welt. (8,9/10)
Der nächste Gang (€ 65), wie der vorherige eine Vorspeise, erinnert entfernt an eine kreative Interpretation eines Rindertatars. Unter einem Gelee aus Zitrusfrüchten findet man rohes, in dünne Scheiben geschnittenes Rind, das ganz bodenständig mit mildem Senf und Kaviar kombiniert ist. Der Senf ist mild und doch keck würzig, der Kaviar liefert Salz und das Zitronengelee appetitanregende Säure. Eine Art Basilikumpesto bietet dazu eine weitere, süffige Geschmacksebene. Gabel für Gabel ist ein Hochgenuss, ich kann kaum eine Pause einlegen. (9/10)
Es geht weiter mit Spaghetti (€ 50), die perfekt gekocht sind, dick und bissfest. Die Nudeln sind mit einem Meer aus diversen Kräutern bedeckt, weiter findet man darauf murmelgroße, grün-goldene Kugeln, die aus geräuchertem Aal, Petersilie und Blattgold zubereitet sind. Sie passen damit hervorragend zum Rest der Komposition. Winzige Tintenfische ergänzen die Meereswelt des Aals, und eine geschmacklich intensive Lorbeer-Sauce passt gut zu den anderen Kräutern. Brombeere gesellt sich hin und wieder auch auf eine Gabel, was überrascht und doch stimmig ist. Es ist fast ein Wunder, dass das Gericht am Gaumen nicht überfrachtet wirkt. Im Mittelpunkt steht immer die fabelhafte Pasta, die mit der Kräuter- und Meereswelt ein großartiges Nudelgericht ergibt. (9/10)
Ich staune, wie selbstbewusst die Küche hier mit größtenteils geläufigen Geschmacksbildern umgeht. Hier ist nicht Kleinteiligkeit das Thema, sondern Opulenz; dabei gibt es, wie in Italiens Spitzenküchen immer wieder bemerkbar, stets einen deutlichen Bezug zu familiärer, bodenständigerer Küche. Diese Authentizität ist eine Zutat, die man nicht einkaufen kann und die doch so wichtig ist.
Inzwischen bin ich im Schlemmermodus angelangt und bestelle mich weiter durch die Karte. Es geht wenig über den Spaß, den einem eine freie Auswahl aus der Speisekarte ermöglicht.
Das nächste Gericht beinhaltet mit Olivenöl und Limette gefüllte Bottoni-Nudeln (€ 45), die in einer Cacciucco-Sauce angerichtet sind, d. h. im Sud einer italienischen Fischsuppe, die geschmacklich an Bouillabaisse erinnert. Auf den Teigtaschen findet man jeweils eine Scheibe gegrillten Oktopus und ein kleines Blatt Basilikum. Als ich den ersten Löffel verkoste und die Pasta am Gaumen zerplatzt und ihr betörendes Limettenaroma freigibt, das sich mit dem pikanten Fischsud zu etwas ultimativ Wohlschmeckendem zusammentut, muss ich tief durchatmen und bin glücklich, noch genau sieben Mal dasselbe erleben zu können. (10/10)
Ein Teller muss noch her, immerhin ist mein Kurztrip nach Mailand ‒ mit etwas umständlicher Flugroute ‒ ausschließlich diesem Essen geschuldet.
Es geht also weiter. Ein Duo aus Kalbsbries und Huhn (€ 70) wurde in Kohl gegart und dann in zwei dicken Tranchen auf dem Teller platziert. Beide Zutaten sind so zart und saftig, dass man fast Mühe hat, sie voneinander zu unterscheiden. Zu den üppigen Fleischstücken gibt es eine dichte Sauce mit Schnecken sowie einige Blätter Rosenkohl. Das ist handwerklich makellos und geschmacklich auf einer so herzhaften Seite wie man es sich von einem Hauptgang aus der Fleisch-Sektion wünscht. Dazu schafft es die Küche erneut, ein vom Wesen her sehr opulentes Gericht außerordentlich fein wirken zu lassen, was vor allem dem Gargrad der beiden Hauptzutaten zuzuschreiben ist. (8,9/10)
Für ein Dessert reicht es dann nicht mehr. Es ist davon auszugehen, dass ich etwas verpasse, doch eine Batterie an hervorragenden, auf fragilen Glastierchen präsentierten Petits Fours (8/10) schließt das Mahl in derselben Form ab, die mein Bauch jetzt hat: rund.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Enrico Bartolini al Mudec (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Enrico Bartolini |
Ort: | Mailand, Italien |
Datum dieses Besuchs: | 01.02.2020 |
Guide Michelin (Italien 2020): | *** |
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