Momofuku Ko ‒ krasser Kasseler
Acht Jahre ist es her, dass ich das Restaurant mit dem unaussprechlichen Namen zum ersten Mal besucht habe. Es war schon damals eines der besten in New York, und das ist einer der wenigen Aspekte, die sich seitdem nicht geändert haben, zumindest, wenn man die zwei Sterne im Guide Michelin und anderen Quellen zurate zieht.
Das frühere Ko, so die Kurzform dieses von vielen Restaurants aus David Changs populärer Momofuku-Reihe, war ein kleines Kabuff im New Yorker East Village, mit strikten Reservierungsregeln, hohen Stornogebühren und Fotografieverbot. Das war damals alles ganz en vogue. Inzwischen hat sich New Yorks Gastronomie entspannt. Reservierungssysteme mit Ticket-Vorverkauf wie Tock und Resy sind zum Standard in der gehobenen Gastronomie geworden (wenn auch nicht hier), und Fotografieverbote sind in Zeiten von Instagram längst geschäftsschädigend.
Das neue Ko hat sich ebenfalls entspannt. Es ist erwachsener geworden, könnte man sagen. Größer, stilsicherer, souveräner. Meine Reservierung ist an einem Sonntagmittag. Wie ich vor Ort erfahre, ist das eine besonders gute Zeit, um hier einzukehren, weil das Personal an dem Tag nur ein seating zu bekochen hat und am nächsten Tag Ruhetag ist.
Man spürt die gute Laune. Der Empfang ist lässig und dennoch herzlich, alle Attitüden von damals sind verflogen. Der u-förmige Edelstahltresen, an und hinter dem sich alles abspielt, ist sehr breit und bietet viel Platz zwischen den Gästen. Im Hintergrund läuft Hip-Hop-Musik der frühen 90er. Cypress Hill, Wu Tang Clan, Mos Def, aber auch Zeitgemäßes wie die Gorillaz. Beats, die fett genug sind, um sie zu erkennen, aber leise genug, um sich zu unterhalten.
Alle diese Rahmenbedingungen nimmt man in Sekundenbruchteilen war; sie schaffen eine unmittelbare Wohlfühlatmosphäre. Die Sommelière, ganz casual gekleidet, wie alle hier, weiß auch sofort, was man als erstes braucht: eine umfangreiche Weinkarte, natürlich mit großer Burgunder-Auswahl. Wenig später steht ein 2015er Puligny-Montrachet „Clos de la Truffière“ von der Domaine Benoit Ente auf dem Tisch, elegant und fett zugleich, ein rarer, feiner Wein, perfekt für diesen Sonntagmittag (ca. € 284).
Obligatorisch werden noch rasch eventuelle Allergien und Unverträglichkeiten abgefragt ‒ es gibt keine ‒, dann geht es auch schon los mit dem (einzig verfügbaren) Überraschungsmenü (€ 233).
Erste Snacks sind ein Käsecracker mit Schnittlauch und eine stabförmige Pomme soufflée mit Pfeffer, beides sehr delikat und präzise umgesetzt. (7/10)
Das Niveau zieht an mit einem sehr akkurat gearbeiteten Teigröllchen, gefüllt mit Hummer von sehr guter Qualität, und einem erfrischenden, ätherischen Schaum aus Thaibasilikum und Minze (8/10). Danach begeistert ein Sashimi von der Flunder mit einem Dashi-Gelee und Shishito-Paprika, ein rauchiger, kühler Genuss mit gewitztem Fokus auf Umami und Salz (8/10).
Makrele wurde für den nächsten Snack mit Sushi-Reis, Noriblatt und Rübchenblättern zu kleinen Bällchen geformt, die mich geschmacklich sofort an einen Sushitresen in Japan katapultieren. Ein heißer, konzentrierter Fischfond ‒ dieser nun eher Französisch als Japanisch ‒ ergänzt den hervorragenden kleinen Gang schlüssig, heiß und wohlschmeckend. (8/10)
Sehr kurzweilig ist auch ein untypisch geformter „Donut“, in dessen luftigen Teig Jakobsmuscheln eingearbeitet wurden, was für eine kecke Herzhaftigkeit sorgt. Der knusprige, betörend fettige, aber doch überraschend leichte Snack ist ein unkompliziertes Vergnügen auf hohem Niveau. So leger darf ‒ und muss ‒ Spitzengastronomie auch sein. (7,5/10)
Dann wird es ausgefeilter. Im Mittelpunkt des „Ko egg“ betitelten Gerichts steht ein geräuchertes Hühnerei, das an einer Seite aufgeschnitten ist und die wachsweiche Textur des Eigelbs preisgibt. Eine größere Nocke Kaviar (Kaluga Queen) ist dabei so angerichtet, dass es den Anschein hat, der Kaviar flösse aus dem Ei auf den Teller. Neben Kaviar und Ei ‒ ein an sich schon recht perfektes Paar ‒ gibt es Chips aus japanischen Kartoffeln, die auf ungezwungene Art eine knusprige Texturebene hinzufügen. Kerbel, zum selbst Dosieren schlicht auf den Teller gelegt, und ein mit „höhlengereifter Butter“ eingekochtes Zwiebelkompott bringen ansprechende Bitternoten sowie buttrigen Schmelz in das insgesamt sehr harmonische Ensemble. Zu Recht ein Klassiker aus Changs Küche. (8,5/10)
Es ist wunderbar, hier zu sein. Die Atmosphäre ist kreativ und lässig, man spürt die Harmonie innerhalb des Küchenteams. Trotz hoher Konzentration am jeweiligen Posten, wird mit den Gästen geredet, humorvoll und authentisch, das erlebt man so nur selten.
Broken rice porridge überrascht dann mit kleinkörnigen, zum Porridge eingekochten Reis, dessen „aufgebrochene“ Körner ‒ eine vietnamesische Technik ‒ für ein angenehmes Mundgefühl sorgen. Dem in einem angenehm salzigen Dashi servierten Porrdige sind knuspriger, gepuffter Reis sowie Seeigel aus Maine beigemengt. Letzterer sorgt für ein schwer zu beschreibendes Aroma nach Hafenbecken und Marina ‒ klingt abstoßend, schmeckt aber nach den besten Essen in Japan. Faszinierend gut! (8,5/10)
Etwas klassischer ist ein auf der Haut gebratenes Stück Wolfsbarsch, das mit einer aufgeschäumten Hummerbisque und Trompetenpilzen gereicht wird. Die sehr französische Kombination von Fisch und Bisque ist eigentlich ein Garant für ein schlüssiges Geschmacksbild, das man bis ins höchste kulinarische Niveau perfektionieren kann. Doch hier hinkt die Umsetzung ein wenig. Der Fisch ist ungleichmäßig gebraten, d. h. überwiegend recht trocken, an manchen Stellen dagegen noch fast roh. Die „strahlende Saftigkeit“, die Wolfsbarsch im Idealfall aufweisen kann, fehlt hier. Der Sauce fehlt es überraschenderweise auch an etwas Substanz. In Summe ergibt das zwar immer noch ein sehr gutes Geschmacksbild, vor allem auch wegen der perfekt gewürzten Pilze, aber die Justierung ging hier etwas fehl. (6,9/10)
Es geht schließlich weiter mit einer Scheibe Schweineschulter, zwölf Stunden lang geschmort, serviert mit einem „Senfjus“ und Blattkohl. Der Teller frappiert mich nicht nur wegen der so souverän schlichten, sondern dem Anschein nach auch sehr „deutschen“ Komposition. Am Gaumen bestätigt sich das Visuelle: der „Kasseler“ ist einer zartesten und saftigsten, die ich je probiert habe, herzhaft gewürzt; die mit Senf vermengte, dadurch leicht pikante Bratensauce ergibt damit ein familiäres Geschmacksbild. Auch das aromatische Gemüse ist punktgenau gekocht. Dieser absolut hervorragende Teller zeigt eindrucksvoll, wie man eine im Kern bürgerliche Küche (sofern eine solche Einstufung hier in New York überhaupt Sinn ergibt) auf ein Spitzenniveau heben kann. Dass man so etwas in dieser Stadt erleben kann, ist eigentlich klar. Doch dass genau solche Gerichte in Deutschland nicht den Grundpfeiler unserer Spitzenküche darstellen, ist eines der fundamentalen Probleme der deutschen Gastronomie. Ich habe noch nie so guten Kasseler in einer derart präzisen Umsetzung gegessen. Wenn man die würzige Sauce mit dem hausgemachten Sauerteigbrot aufnimmt ‒ ein im Grunde ja auch sehr deutsches Produkt ‒ schmeckt das sogar ein bisschen wie diese pappigen Brötchen zur Currywurst. Ziemlich beeindruckend. (8/10)
Es gibt noch etwas Herzhaftes. Ein Kürbis-Wan-tan, also eine Teigtasche, die nicht nur sehr präzise gearbeitet ist, sondern zusammen mit weißem Alba-Trüffel und Zwiebeln ein süffiges, buttriges und zum Augenschließen gutes Ensemble ergibt. (8/10)
Zwei kleinere Dessertkreationen folgen. Heidelbeere kommt als Sorbet und Schaum, kühl, intensiv fruchtig und in perfekter Balance zwischen Säure und Süße (7,9/10). Eine Tartelette mit Foie Gras, Pinie und Lychee transportiert mich dann in eine andere Welt, nicht nur wegen des betörenden Schmelzes der Foie Gras, einer raffinierten Salzigkeit und den ätherischen Aromen von Pinie, sondern weil an Rose erinnernden Aromen der Lychee schlicht ergreifend sind (8,9/10).
Ein Pie aus Süßkartoffel, Mandel und Aprikose, der heute zum ersten Mal serviert wird, ist ebenfalls hervorragend, in seiner ganzen Schlichtheit. (7,9/10)
Das letzte Dessert, leider ohne Foto, ist eine Kreation mit einem cremigen Joghurteis, Amazake (mit Sake fermentierter Reis) und fruchtiger Kaki. Süße, Frucht und die körnige Textur erinnern dabei an Milchreis. Unbeschwert gut! (7,5/10)
Das hervorragende Essen im Ko ist das eine, das andere die Lockerheit des Teams, die Köche, die gut gelaunt ihrer Passion nachgehen, der coole Soundtrack. All das macht das Ko zu einem der lässigsten Spitzenrestaurants New Yorks. Ich verlasse das Restaurant daher in bester Laune in Richtung des gerade angebrochenen New Yorker Spätnachmittags.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Momofuku Ko (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Sean Gray |
Ort: | New York City, USA |
Datum dieses Besuchs: | 29.12.2019 |
Guide Michelin (New York City 2020): | ** |
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