Lasarte ‒ nicht Oria
Der baskische Küchenchef Martín Berasategui ist so etwas wie Spaniens Alain Ducasse. Zwar betreibt der Spanier längst nicht so viele Restaurants, aber ein gutes Dutzend sind es dennoch, einige davon in Mittelamerika. Zwei Restaurants unter Berasateguis Führung sind inzwischen mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Sein Stammhaus in Lasarte-Oria bei San Sebastián und das nach dem Ort des Stammhauses benannte Lasarte in Barcelona, das die höchste Wertung seit 2016 verzeichnet.
Das Restaurant befindet sich im Erdgeschoss des zentral gelegenen Luxushotels Monument und bietet ein futuristisches, helles ‒ sehr gestelltes ‒ Ambiente in Schattierungen der Farbe Beige.
Der Tisch, an dem ich zuerst platziert werde, befindet sich in einem kleinen Separee abseits des eigentlichen Speisesaals. Wasser und ein Glas mäßigen Cava (Mim natura blanc de noir, € 15) bestelle ich noch, bevor sich bei mir in dem abgetrennten Raum ein klaustrophobisches Gefühl ausbreitet. Es ist so ungemütlich und langweilig hier, dass ich den Abend abbrechen werde, sofern ich nicht einen anderen Tisch bekomme.
Aber das Umsetzen klappt, und ‒ um Protagonist Patrick Bateman aus der Verfilmung von Bret Easton Ellis’ Roman American Psycho in einer ähnlich desolaten Restaurant-Situation zu zitieren ‒ eine Welle der Erleichterung durchströmt meinen Körper.
Hier im Hauptspeisesaal hat man von jedem Platz aus einen guten Überblick über das kurzweilige Treiben im Restaurant. Ich beobachte gerne das gastronomische Geschehen, es ist für mich ein entscheidender Teil des Erlebnisses. Wenn man nicht gerade einen speziellen Grund für stille Privatsphäre hat, sind Separees eigentlich immer zu vermeiden. Wer das Verlies in Alain Passards Arpège kennt, weiß, wovon ich spreche.
Die Speisekarte bietet zwei Menüs („Lasarte Menu“ für € 205 sowie ein „Tasting Menu“ für € 235) sowie eine Auswahl à la carte, für die ich mich entscheide. Es soll heute Abend nicht ganz so üppig werden.
Erste Appetizer erreichen den Tisch. Es gibt einen Beignet aus Seeanemone mit Yuzu-Gel und einer sehr leichten, knusprigen Textur, aber einem etwas artifiziellen, „chlorähnlichen“ Geschmack (6,9/10). Ein zweiter Snack ist ein mit Curry gewürztes Toast mit roher Garnele von exzellenter Qualität. Die kleine Speise ist knusprig, fruchtig pikant wie das Aroma einer Habanero und begeistert uneingeschränkt (9/10).
Zwei weitere Snacks folgen derselben Idee „knuspriges Gebäck mit Gel-Tupfern“, was mir ein bisschen uninspiriert erscheint. Gleichwohl bieten auch eine Kreation mit Roter Bete und fischigen Akzenten (7,5/10) sowie eine mit Topinambur (7/10) annehmbaren Knabberspaß.
Ein objektiv sehr guter, aber doch verhaltener Auftakt mit zu vielen Gel-Klecksen und zu wenig Produktexzellenz.
Ein weiteres Amuse-Bouche ist ein Klassiker von Berasategui, ein Millefeuille mit Schichten aus Aal, Foie Gras und Apfel. Die Kreation, die ich im Jahr 2016 zu den besten zwanzig Speisen meines damaligen Jahres zählte, ist erneut hinreißend. Die Kombination von gehaltvollem, geheimnisvoll rauchig schmeckenden Aal, der noch üppigeren, cremigen Stopfleber und, als Gegenpol, dem frischen Apfel ist purer Wohlgeschmack. Im Gegensatz zu meinem denkwürdigen Erlebnis vor zwei Jahren unterscheidet sich die Umsetzung hier allerdings um Nuancen. So ist die oberste, karamellisierte Schicht nicht ganz so dünn und knusprig, auch fallen die anderen Schichten dicker aus als bei meiner Referenz, was die Proportionen etwas beeinträchtigt. Dennoch ein Hochgenuss.— 9/10
Ein weiteres Amuse-Bouche wird serviert. Es handelt sich um ein Ensemble mit geschnittener Stabmuschel von bemerkenswerter Frische, serviert unter einem kühlen, pikanten Schaum mit Gurke und Jalapeño. Objektiv erneut fantastisch.— 9/10
Objektiv, weil sich in diesem Restaurant das gesamte Erlebnis merkwürdig künstlich anfühlt. Mit künstlich meine ich in diesem Kontext das Gegenteil von authentisch, kurzweilig und persönlich. Heutzutage findet man in der Spitzenküche rund um den Globus kreativste Köche, die in ungezwungener Atmosphäre phänomenale Speisen nur eine Armlänge vor einem zubereiten. Natürlich muss nicht alles wie im Frantzén sein. Aber das Servieren dieser ganzen Speisen von einem sehr förmlich und ohne ersichtlichen Spaß agierenden Team, noch dazu in einer Kulisse, die wie ein aus lackiertem Pappmaschee hergestellter Filmset aussieht, wirkt in Summe sehr befremdlich.
Genussreich ist der Abend dennoch.
Im Weinglas zeigt sich gerade ein grandioser 1995er Viña Tondonia Gran Reserva (€ 246) von seiner besten Seite. Es ist schön, in Spanien häufig an viele Jahrgänge dieses hervorragenden Weins gelangen zu können, oft auch noch zu deutlich günstigeren Preisen.
Mit dem nächsten Teller gelangt noch immer nicht die erste meiner zwei bestellten Vorspeisen an den Tisch, weswegen ich davon ausgehen muss, dass es sich bei diesem wundervollen Salat um ein weiteres Amuse-Bouche handelt. Der Service kommentiert dazu auch nur knapp die Zutaten: Salatblätter, Kräuter, Blüten, Kopfsalatcreme, Hummer und ein „jodierter“ Jus. Natürlich kenne ich das Gericht. Es ist ein Klassiker von Berasategui, den ich bereits 2016 im anderen Haus genoss, und der heute wie damals ganz große Klasse aufweist. Unterstützt durch einen kaum sichtbaren, weil transparenten, geleeartigen Jus auf dem Grund des Tellers vermittelt dieser Gang überbordende Frische, Leichtigkeit und die Weite des Meeres.— 9/10
Dass hier aufgrund einer Verwechslung falsch aufgetischt wurde, stellt sich erst im Nachhinein heraus.
Nach diesem angenehmen Irrtum zu meinen Gunsten gelangt meine erste Vorspeise an Tisch. Es gibt Ravioli (€ 58), perfekt bissfest gegart, gefüllt mit saftigem geschmorten Wagyu-Rind, flankiert zwischen einer Creme mit Rettich und einer Nocke Kaviar ‒ und schließlich von einem wunderbar üppigen, leicht süßlichen, glasierten Aal und einem jodigen Schaum, der eventuelle Schwere nimmt, in Richtung Meer begleitet. Ein perfekte Wohlfühlspeise.— 9/10
Vorspeise Nummer zwei ist ein kleines Tintenfischtartar (€ 40), angemacht mit etwas „Kaffernlimetten-Comsommé“. Serviert wird es mit einem flüssigen, aber leicht warmen Eigelb und Amarant, dazu kleine Tupfer Zwiebelcreme. Die zum sofortigen Durchmischen bestens geeignete Kreation ergibt am Gaumen ein herrliches süffiges Ensemble von ‒ naturgemäß etwas „schleimigem“, aber exzellentem ‒ Tintenfisch, cremigem Eigelb und einer leicht süßlichen Geschmackstiefe von der Zwiebel. Ganz exzellent.— 8,9/10
Für die Hauptgänge war es möglich, halbe Portionen zu bestellen, was heute Abend das Richtige für mich ist.
Als Fischgang interessierte mich Thunfischbauch (halbe Portion € 35), der hier nur ganz leicht gegart, vermutlich geflämmt, präsentiert wird. Das großzügige, quaderförmige Stück offenbart alle Merkmale dieser Ausnahmezutat, allen voran das integrierte Fett, das man beim Zubeißen regelrecht aus dem Fleisch herauswringt. Fast schon zu viel des Guten. Ohnehin habe ich mit gegartem Thunfisch, vor allem mit Teilen aus dem Bauch, meine Probleme. Eine rohe Zubereitung steht dem Produkt einfach besser. Es gibt dazu noch Fenchel sowie verschiedene Saucen, u. a. mit Brunnenkresse sowie erneut mit Kaffernlimette. Hervorragend, aber wenn man weiß, wozu dieses Produkt in der Lage ist, ist das etwas enttäuschend.— 8/10
Die Lust auf gutes Fleisch packte mich heute auch, daher probiere ich noch ein gegrilltes Ochsenfilet (halbe Portion € 38). Es wird mit Mangold, „Chlorophyll“-Sauce und „Käsebonbons“ serviert. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich auch dieses Gericht bereits in fast identischer Form ‒ allerdings mit einem anderen Schnitt ‒ im Stammrestaurant gegessen hatte. So grandios wie damals fällt dieser Gang jedoch bei weitem nicht aus. Für ein Filet ist das Fleisch zwar fantastisch, allerdings hat es die Menge an magerem Fleisch letztlich schwer, sich nahezu allein zu behaupten. Die Saucen sind recht geschmacksneutral, es fehlt auch etwas Salz ‒ und „Pepp“. Dazu passt aber jetzt der Rioja wie die Faust aufs Auge.— 7,5/10
Auf ein Dessert verzichte ich heute Abend, es gibt aber noch einige handwerklich sehr gut gemachte Pralinen, von einer neutral schmeckenden „Kirsche“ aus roter Bete und Himbeere bis zu einem perfekten, sehr genussreichen Salzkaramell. Im Schnitt 7,9/10.
Einem objektiv hervorragenden Essen zum Trotz ‒ wir haben den Pfad der Spitzenküche schließlich nicht verlassen ‒ stand der Abend nicht immer unter den hellsten Sternen. Fantasielose Amuse-Bouches, schwächelnde Duplikate der Gerichte aus dem Stammrestaurant, ein inhaltloses Ambiente und eine nicht zeitgemäße, teilnahmslose Förmlichkeit des Personals ‒ all diesen Dingen kann Barcelona mit einer großen Vielfalt an Alternativen begegnen. Und wer nach Lasarte will, der sollte auch nach Lasarte fahren, nach Lasarte-Oria.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Lasarte (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Paolo Casagrande |
Ort: | Barcelona, Spanien |
Datum dieses Besuchs: | 11.07.2018 |
Guide Michelin (ES/PRT 2018): | *** |
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