Per Se ‒ ein Traum von Trüffeln
Thomas Kellers Restaurants stehen in der amerikanischen Gastronomielandschaft wie ein Fels in der Brandung. Seine berühmte ‒ und gerade aufwändig renovierte ‒ French Laundry im Napa Valley und das New Yorker Pendant Per Se sind in den USA Ikonen des fine dining, die Bäckerei- und Bistro-Filialen Bouchon von mir zu Hause bitterlich ersehnte Oasen für alltäglichere Gaumenfreuden von steak frites bis éclair au chocolat.
Den Hype um Kellers Restaurants haben längst Andere abgelöst. Das Per Se wird einem in New York niemand schnell empfehlen, es sei denn, man fragt explizit nach einem luxuriösen Restaurant für festliche Anlässe, ausufernde Weinproben oder Kulissen für fette Geschäftsabschlüsse, kurz: nach vier- bis sechsstelligen Rechnungsbeträgen. Restaurantkritiker Pete Wells von der New York Times legte in der jüngsten Rezension zum Per Se noch einmal seinen Finger in die Wunde und stufte das Etablissement von vier auf zwei Sterne herab, wenngleich hier Nachlässigkeiten beim Service eine entscheidende Rolle spielten.
Eines steht außer Frage. Förmliches Ambiente, französische Küche und Menüs für umgerechnet ca. € 275, die die Möglichkeit vorsehen, sie um bis zu weitere € 200 aufzustocken, wenn man sich bei einigen Gängen für entsprechende Optionen entscheidet, erscheinen nicht mehr zeitgemäß.
Aber ich bin Hedonist, kein Trendscout. Leicht vom Jetlag geplagt, aber mit Appetit und Vorfreude gewappnet stehe ich daher ‒ zum dritten Mal in sechs Jahren ‒ vor den blauen Pforten im Time Warner Center. Das Masa und die Bar Masa sind nur einen Schulterblick von mir entfernt, eine Bouchon Bakery befindet sich ein Stockwerk tiefer. Kulinarische Gipfel in Einkaufspassagen, davon kann man nur träumen, wenn man das nächste Mal zwischen H&M, Douglas und Galeria Kaufhof Appetit bekommt.
Es gibt zwei Menüs. Beide ‒ das Chef’s Tasting Menu, für das ich mich entscheide, sowie ein rein vegetarisches ‒ lesen sich wie Aufzählungen lauter traumhafter Produkte und Geschmäckern, von Aubergine, Bergamotte und Carnaroli-Risotto bis Miyazaki-Rind und Wintertrüffeln.
Die (in einem Tablet präsentierte) Weinkarte ist umfangreich und ihr Inhalt kostspielig. Unter zweihundert Dollar (ca. € 160) wird man Mühe haben, ansprechendende Weine zu finden. Die teuerste Flasche ist ein 1929er Richebourg von der Domaine de la Romanée-Conti für umgerechnet € 41.600. Und das ist sicherlich kein Ladenhüter. Für morgen Nachmittag ist hier eine große private DRC-Probe geplant. Die Flaschen stehen im begehbaren Weinklimaschrank schon bereit.
Nach etwas offenem Champagner und Weißwein fällt meine Wahl auf einen 2014er „Cerise Vineyard“ Pinot Noir vom Weingut Littorai aus Mendocino, Kalifornien (ca. € 192).
Snacks zum Aperitif sind zunächst das klassische Lachstartar im Cornet mit perfekter Würzung, aber etwas zu dicker Teighülle (7/10); dazu gibt es Käsecracker, die unscheinbar aussehen, aber ganz hervorragend schmecken, leicht salzig-umami nach Parmesan und Zwiebeltarte (8/10).
Eine dann folgende Topinambur-Velouté als Amuse-Bouche mit Rhabarber, Kürbiskernen und Mangold ist schaumig, heiß und exzellent herzhaft abgeschmeckt. (8/10)
Der erste Gang des Menüs ist einer von Kellers Klassikern schlechthin: „Oysters & Pearls“, bestehend aus pochierten, walnussgroßen Austern, einer großen Nocke Kaviar und einer buttrigen Sabayon mit Tapiokaperlen und Schnittlauch. Süffig, salzig, jodig, buttrig, himmlisch. (10/10)
Ein „Hühnerei-Pudding“ mit einem „Ragout“ von schwarzen Trüffeln ist eine weitere perfekte kleine Speise, deren Geschmack man sich für Ewigkeiten am Gaumen wünscht. Ein Kalbsjus mit Trüffeln ist so intensiv eingekocht, dass er leicht pikant geworden ist und man Mühe hat, wegen der ausgekochten Gelatine die Lippen wieder auseinanderzubekommen. Fabelhaft. (10/10)
Der nächste Gang stellt kleine, knusprig geröstete Kartoffeln mit intensivem Eigenaroma zur Schau. Lauch, leicht bittere Salatblätter und eine Aioli mit schwarzem Trüffel ergänzen einen verführerischen, rauchigen Gang, der an Lagerfeuer und Nachtwanderungen erinnert. Hervorragend, und ganz wunderbar unverfälscht. (8,9/10)
In diese süffige, rauchig-säuerliche Umami-Geschmackswelt, in der sich das Menü bisher befindet, passt eine Vinaigrette mit gerösteten Pinienkernen, karamellisierten marokkanischen Oliven und einem Hauch Knoblauch perfekt. Man bräuchte dazu kaum mehr als ein Stück von dem exzellenten Baguette, das ich auf dem Brotteller habe. Zwei Stücke Gelbflossen-Thun, die es dazu gibt, sind zwar hervorragend, aber nicht auf Referenzniveau. Dennoch ist auch dies ein exzellentes, erneut sehr authentisches und wohlschmeckendes Gericht. (8/10)
Dem geschmacklichen Duktus des Menüs folgend, gibt es dann Jakobsmuschel ‒ groß, fleischig und exzellent gegart ‒, die in einem süffig-cremigen Potpourri von Blumenkohl, Brioche-Croûtons, Rübstiel und Nussbutter serviert ist. Ein souveräner, fantastisch unaufgeregt angerichteter Weltklasseteller. (9/10)
Exzellentes, hausgemachtes Roggenbrot mit Früchten sowie eine der besten Buttersorten, die ich je probiert habe (von Diane St. Clair’s Animal Farm in Vermont) rechtfertigen zweifellos die Präsentation als eigener Gang. Mächtig ist das dennoch, daher bewahre ich Brot und Butter einfach noch auf. (7/10)
Der folgende Gang ist eine der aufpreispflichtigen Zusatzoptionen. Hausgemachte Tagliatelle mit Parmesan und schwarzem Trüffel kosten 125 Dollar (ca. € 100) extra und eichen den Gaumen auf maximal erlebbaren Genuss. Die aufgewickelte Pasta wird in einer süffigen, dichten Parmesansauce aufgetischt. Die Nudeln sind bereits leicht mit Trüffeln besprenkelt, sodass für einen kurzen Moment die Befürchtung in mir aufflammt, dass man hier trotz des beträchtlichen Aufpreises etwas geizig mit dem Edelpilz umgeht. Doch bevor ich diesen Gedanken zu Ende denken kann, hobeln von rechts zwei Hände ‒ eine davon im weißen Handschuh ‒ eine riesige, feiste Knolle auf meinen Teller, bis von den Nudeln nichts mehr zu erkennen ist. Die ganze Knolle. Ein Zehn-Dollar-Schein nach dem Anderen, bis der Aufpreis zum Menü mehr als legitim erscheint.
Der Trüffel aus dem Périgord ist von Referenzqualität, schwarzweiß, saftig und ätherisch nach verregnetem Waldspaziergang und harzigem Terpentin duftend. In Kombination mit dem Umamigeschmack der sahnigen Parmesansauce und der perfekt hergestellten und gekochten Pasta ist das ein unvergesslicher Teller. (10/10)
Es geht weiter mit Lammkarree von der Elysian Fields Farm in Pennsylvania. Der Betrieb ist für seine „ganzheitliche“ Tieraufzucht bekannt, die nach vergleichbaren Standards arbeitet wie japanische Kobe-Rind-Züchter. Die Qualität des Fleischs ist nur in Superlativen zu beschreiben. Es ist geschmacklich sehr fein, butterzart und hat einen hohen Fettanteil, der am Gaumen schmilzt wie Butter. Dazu gibt es Aubergine mit Kräuterkruste, mit Harissa gewürzte Paprika, Raukepesto sowie toskanisches Olivenöl und einen makellosen Lammjus, der das mediterrane Geschmacksbild komplettiert. Ein weiteres perfektes Gericht mit Referenzzutaten und -zubereitungen. (10/10)
Zwischen herzhaft und süß wird ein Gougère serviert, auf einer Crème von gereiftem Gruyère. Das herzhafte Gebäckstück ist heiß und „dicht“ und ganz hervorragend zubereitet. (8/10)
Es folgt noch ein ganzes Sortiment an hervorragenden Desserts: ein Schokoladenkuchen mit Pistazie und Zitronenmarmelade (8/10); Frozen Yogurt (8/10); gerollte Crêpe Suzette mit Zitronatzitrone (8/10); Cappuccino Semifreddo (9/10); Zimt-Brioche-Doughnuts (8/10) und Pralinen. Letztere bestelle ich zum Mitnehmen und habe damit schon für ein ideales kleines Frühstück vorgesorgt.
Wenn man in diesem Zustand ‒ satt, vom Wein beschwingt und vom Genuss euphorisiert ‒ in die New Yorker Nacht hinausstolpert, ist das schon ein großartiger Moment. Während die Lichter der Stadt am Taxi vorbeirauschen, träume ich schon mal vor, von Lämmern, Butter und Trüffeln.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Per Se (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Corey Chow |
Ort: | New York City, USA |
Datum dieses Besuchs: | 05.03.2018 |
Guide Michelin (NYC 2018): | *** |
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