Epicure – Crème de la Crème
Als ich vor fünf Jahren das erste Mal den eleganten Speisesaal des Restaurants Epicure im Hotel Le Bristol betreten habe, wusste ich noch nicht, dass ich dieses Restaurant so ins Herz schließen würde. Das liegt nicht nur an der Garantie, hier außergewöhnlichen Genuss zu finden, sondern auch daran, dass es dabei so unkompliziert und herzlich zugeht – was dieses Restaurant nur noch erstklassiger macht.
Während man in den anderen Pariser Drei-Sterne-Restaurants zwar überall auf hervorragendes Essen stößt, muss man dafür so manchen Abstrich machen. Im L’Ambroisie trifft man auf ehrfürchtige Stille, im Arpège auf Platzmangel, im Astrance auf die Tagesform des Küchenchefs, bei Guy Savoy auf viel Formalität, in den Dorchester-Hotels bei Ducasse auf milliardenschwere Osteuropäer, im Le Cinq auf Palmen und Rosenblätter, im Le Pré Catelan auf einen palastartigen Tempel mit Parkanlage, und bei Pierre Gagnaire kann man sich auf nichts anders konzentrieren als auf das Essen. Wen habe ich vergessen? Ach ja, Alléno Paris. Na ja, da kann man auch mal etwas Pech haben. Aber im Epicure? Nichts von alledem.
Das Interieur ist angestaubt, keine Frage, und der Kristallschmetterling auf dem Tisch ist auch ziemlich kitschig, aber dafür löst er bei mir, auch heute Abend, ein ganz besonderes Gefühl des Angekommenseins aus.
Die vergangenen Wochen habe ich immer wieder in der Speisekarte gestöbert. Das steigert die Vorfreude und erleichtert später zumindest ein bisschen die Auswahl. Eine abschließende Entscheidung gelingt mir aber erst mit ein paar Hinweisen vom charmanten Service. Es ist in jedem guten Restaurant wichtig, dass das Personal genau weiß, wie jedes Gericht beschaffen ist, und dass sich jeder im Service auch eine eigene Meinung über die Gerichte bilden konnte. Nur so ist überhaupt ein glaubwürdiger und für den Gast hilfreicher Dialog möglich.
Als Amuse-Bouche gibt es zuerst ein Trio von appetitanregenden Petitessen. Ein Schälchen mit cremigen Schichten aus Foie Gras und Sauerampfer schmeichelt durch eine feine Säure und angenehme Wärme (9/10); ein frittiertes Bällchen mit Kabeljau bietet mit einer hauchdünnen, knusprigen Panierung vollkommenen Genuss mit Gänsehautgarantie (10/10), und ein Chip mit Trüffelcreme ist ebenfalls wunderbar (9/10). Die Kombination aus sehr präzise gearbeiteten, knusprigen Texturen, immer auch gepaart mit Wärme, Salz und Wohlgeschmack, ist hier regelmäßig beeindruckend und zutiefst zufriedenstellend.
Dann wird ein Gebäck gereicht, welches man durchaus als weiteres Amuse-Bouche verstehen kann. (Aber wen interessieren schon solche Definitionen?) Es handelt sich um ein briocheartiges, aber dennoch herzhaftes Brot mit viel Butter, schwarzer Olive, Butter, Käse, Butter, noch mehr Butter und Tomate. Man kann überhaupt nicht anders als den Verzehr dieser luftigen, warmen, fettigen, knusprigen Masse mit vielen „Mmmh“-, „Ohhh“- und „Ahhh“-Lauten zu quittieren. Sagenhaft. (10/10)
Eine weitere Kleinigkeit mit Kartoffel, Schnittlauch und Räucheraromen macht ebenfalls Laune. Es ist handwerklich und aromatisch ebenfalls hochpräzise und schmeckt mal nach kühlem, säuerlich angemachten Kartoffelsalat, mal nach Lagerfeuer, mal nach einem frischen Sommersalat. Kopfkino pur. (10/10)
Über die gratinierten Macaronis farcis mit schwarzem Trüffel, Artischocke, Foie Gras und Parmesan muss ich wohl kein Wort mehr verlieren. An diesem Gericht, heute als kleine Portion (€ 58), komme ich nicht vorbei. Hitze und Süffigkeit, Staunen und Schlemmen. (10/10)
Abgesehen von diesem garantierten Highlight kann ich – gerade in den großen Pariser Restaurants – immer nur dazu raten, nicht nur auf das vermeintlich sichere Pferd zu setzen und auch mal neugierig zu sein. Man wird dabei fast immer mit beispiellosen Zutaten und größtmöglichem Genuss bereichert.
Beim nächsten Gericht gibt es z. B. in einem Schälchen eine Creme von Seeigel sowie dessen Gonaden auf einer brouillade d’oeuf, einer Art cremigem Rührei (€ 82). Man streicht die cremige, salzige Masse einfach auf ein Stück knusprig geröstetes Weißbrot, das man vorher am besten noch mit der Algenbutter bestreicht, die hier zunächst als Bonbon verkleidet ist. Das laute Geräusch vom knusprigen Brot verstärkt noch das extreme Gefühl von Frische, Brandung und Meer, das einen hier bei jedem Bissen anspringt. Gewaltig gut! (10/10)
Meine nächste Wahl fiel auf eine Speise, die bestimmt von vielen Gästen überlesen wird. Eine Stange Lauch für fünfundsiebzig Euro? In so einem Fall kann ich nur sagen: zugreifen! Die scheinbar einfachen Zutaten sind hier häufig die besten. Ich staune schon, als das Gericht serviert wird. Die äußere Schicht der Stange ist von außen stark verkohlt, optisch ansprechend ist dazu der farbliche Kontrast mit dem saftigen, leuchtend grünen Inneren. Auf der Lauchstange, die in der Mitte in mundgerechte Stücke zerteilt ist, wurde ein Austerntartar mit junger Zwiebel und Zitrone gesetzt. Der ätherische Duft der heißen Lauchstange ist zum Augenschließen und Innehalten, dazu mischen sich Aromen von Meeresfrische. Die Textur der Stange ist weich und cremig, trotzdem ist sie nicht übergart. Großartige Produktküche in außergewöhnlicher Präsentation. (10/10)
Als außergewöhnliche Produktküche lässt sich zweifellos auch das nächste Gericht bezeichnen. Es handelt sich um einen im Ganzen gegarten Périgord-Trüffel (€ 180), der aus einer Art Waldboden (sous-bois) herausgeschnitten wird, ähnlich wie ein Fisch aus einer Salzkruste. Der fast tennisballgroße Edelpilz ist mit einer funkelnden Sauce auf Kalbsfondbasis überglänzt und wird mit einer Topinambur-Mousseline und in Knochenmark gerösteten Speckwürfeln serviert.
Hat das jeder gelesen? Ein ganzer Trüffel. In Knochenmark gerösteter Speck. Kalbsjus.
Meine Faszination für Périgord-Trüffel habe ich über die letzten Jahre in den Spitzenrestaurants in Frankreich ausgebaut, und zwar erst in solchen Restaurants, die nicht zimperlich mit dem Pilz umgegangen sind. Erst dann nämlich kommt das eher subtile Aroma von tuber melanusporum voll zur Geltung, welches absolut nichts mit der schwefeligen, raumfüllenden Duftnote der weißen Alba-Trüffeln (tuber magnatum) gemein hat. Schwarzer Trüffel – ich habe das schon oft erläutert – erinnert aromatisch an eine Mischung aus Kohlrabi, frisch aufgeschnittenen Champignons und Terpentin.
Der gegarte Trüffel auf diesem Teller schneidet sich ungefähr so leicht wie gekochte rote Bete. Zusammen mit dem klebrig reduzierten Kalbsjus und der cremigen Topinamburzubereitung verbringe ich damit nicht weniger als einige der genussreichsten Minuten meines Lebens. Für Produktfreaks. Wie eigentlich alles hier. (10/10)
Käse gönne ich mir auch noch, alle sind perfekt gereift und temperiert.
Das Pré-Dessert mit Mango, Minze, Orange und Mandel ist nicht weniger als exotische Perfektion. (10/10)
Das Dessert, das ich in diesem Haus auch niemals auslasse, kreist um das scheinbar profane Thema Honig, dazu erfrischen Zubereitungen aus Thymian, Birne und Ingwer den Gaumen. Die kühle Süßspeise ist meisterhaft umgesetzt und souverän spielerisch angerichtet. Natürlich darf man spielen: wenn alles andere stimmt. Und das tut es. Diese Süßspeise ist grandios! Die extreme, natürliche Süße vom Honig wird von Kälte gebändigt und von Knusprigkeit eingerahmt, und bei jedem Bissen kann man immer wieder etwas von dem süßen Nektar aufnehmen, wie bei griechischem Joghurt mit Honig. Ambrosisch. (10/10)
Zusammen mit einigen der regelmäßig besten Macarons, die ich kenne, und von denen ich später noch welche mitnehme, komplettiert der süße Abschluss eines der genussreichsten, unkompliziertesten – und besten – Essen, die ich je hatte. Wie immer im Epicure. Genau deswegen war ich hier.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Epicure (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Eric Fréchon |
Ort: | Paris, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 10.02.2017 |
Guide Michelin (F/MC 2017): | *** |
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