Rutz – beschweren verboten!
Ich beschwere mich nicht. Ich kürze das Menü einfach ab. Nach dem x-ten Gang, der zwischen mäßig und gut schwankt, aber niemals begeistert, möchte ich jetzt nur noch ein Dessert probieren und dann bitte die Rechnung haben. Ich bin satt, aber gelangweilt. Ich zahle auch alles, selbstverständlich, es ist ja schon alles abgerufen.
Ich war noch nie im Rutz – oder der dazugehörigen Rutz Weinbar. Etwas dunkler habe ich mir das hier vorgestellt, heimeliger, passend zu einem guten Schluck Wein in gelockerter Atmosphäre. Unten in der Weinbar ist das auch so, aber hier oben im „Gourmet-Restaurant“ ist es ziemlich steril, sehr hell, und dieses rötliche Holz brennt im ästhetischen Auge.
Da ist man schon mal an einem dieser seltenen Orte in Deutschland, die lässige Gemütlichkeit mit hochwertiger Küche verbinden könnten, und dann muss man die Treppe hoch in ein Gourmet-Klischee abtauchen, wo sich der (wirklich sehr charmante!) Restaurantleiter immer persönlich zu einem an den Tisch runterhockt und einem erklärt, wonach die Gerichte schmecken. Tatsächlich, er erklärt nicht bloß, was es zu essen gibt – er erklärt, wie das, was es zu essen gibt, zubereitet wurde und wie es schmeckt. Bitte? Was ist das denn für eine Idee? Das ist ja wie ein deutscher Film mit deutschen Untertiteln. Die Prozedur dauert auch jedes Mal mehrere Minuten, was egal ist, denn die Gerichte sind sowieso höchstens lauwarm, wie überall, wo mindestens genauso viel angerichtet wie gekocht wird.
Das Menü „Natur & Aromen“ (4–10 Gänge, € 98–165, ich wähle neun zu € 155) begann vor viel zu langen drei Stunden mit einigen interessanten Kleinigkeiten.
Eine Kreation mit Kürbis, Kaffee und Cashewnuss ist eine ansprechende Kombination zwischen fruchtig, nussig und herb (7/10); ein knuspriges, leichtes Gebäck mit Steinpilzcreme und Champignons („Egerlingen“) ist angenehm waldig und ätherisch (8/10); eine Löffeldegustation mit Trockenfleisch vom Hirsch mit Wirsing ist süßlich-herzhaft und bietet angenehmen Kauspaß (7/10); und ein Chip mit rohem Kabeljau und Rotkohl bietet aromatische Anklänge an ein Fischbrötchen: auch sehr gut (7/10). Ein interessanter, wenngleich auch schon aufwändig verspielter Einstieg, bei dem die Champignons in ihrer ganzen puristischen Pracht alle weiteren, noch so pfiffig kombinierten Petitessen überragen.
Ein Kartoffel-Käse-Brot wird mit Fenchel-Anis-Butter gereicht und überbrückt die lange Wartezeit zum ersten Gang (siebzehn Minuten). Dazu erfreue ich mich an einem raren Fund aus der Weinkarte: ein 2014 Pinot Noir „Réserve“ vom Weingut Holger Koch aus Baden (€ 89), der so blumig duftet wie ein großer Chambolle-Musigny.
Es gibt weiter einen vom Aussehen her frappierend deutschen Teller, bei dem man sich erstaunlich viel Mühe gegeben hat, perfekte Cremekleckschen zu formen und diese mit einem mikroskopisch kleinen Kraut zu dekorieren. Bei den weiteren Zutaten handelt sich um Schwertmuschel, Forellenrogen und Bohnenkraut. Letzteres kommt auch in einem etwas zu öligen Sud zum Einsatz. Die jodig-meerige Geschmackswelt gefällt mir, aber ich kann nicht erkennen, was hieran – außer einer scheinbar willkürlichen Kombinatioslust des Küchenchefs – interessant sein soll. (6,9/10)
Nach viel zu langen dreiundzwanzig Minuten folgt der zweite Gang, ein Stück geräucherte Forelle von guter Qualität, knuspriger Forellenhaut und einer Art Liebstöckl-Lack. Angenehm abgemildert wird das Ganze durch einen Schaum von Schafsmilch mit Fichtenpulver (das man leider nicht herausschmeckt). Recht gut. (7/10)
„Susanne züchtet auch Stör!“, wird mir zum nächsten Gang erläutert. Offenbar habe ich vorhin verpasst, was Susanne sonst noch so macht. Ich bitte um Nachsicht. Susannes Stör kommt hier mit Hechtkaviar und einem Wildlauch-Jus auf den Teller, doch leider ist der Stör trocken, weil übergart. Das spürt man bereits beim Auflegen des Löffels auf den Fisch (und hätte man in der Küche also auch schon herausfinden können). Die prinzipielle Kombination punktet, aber so einen Teller muss man als Gast stehen lassen. — 6/10
Ich erläutere kurz das Problem – weder fordernd, noch mich beschwerend –, es passiert danach auch nichts weiter. Das stört mich nicht im Geringsten. Ich möchte einfach nur, dass es weitergeht und – nach meiner Hochrechnung – nicht erst gegen 3 Uhr morgens endet. Es zieht sich hier alles fürchterlich in die Länge.
Sportliche zwölf Minuten später folgt ein „Tomatenstulle“ genannter Gang mit Knäckebrot, kaltem Roggen und Ziegenfeta-Granité. Das Gericht ist eine sehr gelungene Emulation einer herzhaften Brotzeit. Kräftige Röstaromen, viel Salz, viel Öl (davon aber erneut etwas zu viel), knusprige Textur, das gefällt und ist handwerklich auch sehr überzeugend umgesetzt. (7,9/10)
Sechzehn Minuten verstreichen. Ich bin einer der größten Freunde mäßigen Tempos beim Essen, aber es ist das erste Mal, dass ich in einem Restaurant danach frage, ob man die Abstände zwischen den Gängen deutlich verkürzen könnte. Es ist ja auch nicht so, dass hier 50 Gäste zu bewirten wären …
Es folgt Lachs, ein Wildfang aus der Ostsee, dem man seine hervorragende Qualität schon ansieht. Leuchtend orange, die weiße Marmorierung deutlich sichtbar. Die exzellente Qualität kennzeichnet dieses Gericht, das sich jedoch ansonsten in seinen weiteren Komponenten („Honigbete und Fenchel“) etwas verliert und erneut sehr ölig ist. Ein Spitzenprodukt, umzingelt von Ablenkung. (7/10)
Besonders freue ich mich auf Kalbsbries. Diesen Gang habe ich aus einem anderen Menü gewählt; man hatte auf eine entsprechende Flexibilität hingewiesen. Als der Teller serviert wird, erkennt man – neben verschiedenen Saucen und einer temporär von Papier in Form gehaltenen Komponente – vor allem eines: ein großes Stück nicht fertig gegarten Brieses. Die zarte Innerei ist innen noch rosa und leicht wässrig und weist keinerlei Röstnoten auf. Dabei entspricht eine cremeweiße Farbgebung innen mit goldbrauner Kruste außen dem Ergebnis der einzig korrekten Zubereitung. Beim Anschneiden bestätigt sich das Malheur: der Thymus ist gummiartig und lässt sich kaum schneiden. Das ist so nicht genießbar. Ob meine Anmerkung in der Küche auf Interesse stößt, erfahre ich nicht. (5/10)
Das ist der Zeitpunkt, an dem ich darum bitte, das Menü nur noch mit einem Dessert abschließen zu wollen. Einfach, weil mir nach der zehnten Speise die Lust daran vergangen ist, auf etwas zu hoffen, das mir wirklich Freude bereitet. Satt bin ich durch die langen Wartezeiten ohnehin. Das war eines dieser Menüs, denen ich – außer einen „schönen Abend“ – nichts abgewinnen kann. Die (für das Gebotene ziemlich happigen) hundertfünfundfünfzig Euro hätte ich lieber in eine einzige Vorspeise in so manchem Pariser Restaurant investiert.
Es gibt dann noch: etwas Cremiges, Kühles mit Quitte und Kerbel (6,5/10); ein dürftiges Dessert mit Himbeeren und nach verbranntem Brot schmeckender Schokolade (5/10) sowie ein paar Kleinigkeiten, die die Idee nicht süßer Desserts konsequent weiterführen (6/10).
Ein in der offenen Küche am Pass angebrachtes antikes Schild mit der Aufschrift „Es ist verboten, sich über das Küchenpersonal und den Geschmack der Speisen zu beschweren!“ ist in Anbetracht dieser Leistung besonders ironisch. Beschwerden über diesen Bericht sind übrigens auch ausdrücklich verboten!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Rutz (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Marco Müller |
Ort: | Berlin, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 27.01.2017 |
Guide Michelin (D 2017): | ** |
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