Elkano – das Produkt, das Produkt, das Produkt!
Die Glut ist so heiß, dass man sie schon im Vorbeigehen auf der Straße spürt. Ich kann das beurteilen, schließlich bin in der letzten halben Stunde schon ein paar Mal hier vorbeigegangen. Ich bin regelrecht um das Restaurant herumgeschlichen, in der Hoffnung, dass hier noch vor der eigentlichen Öffnungszeit jemand auftaucht, den ich endlich anbetteln kann, hier ohne Reservierung gleich doch noch einen Tisch zu bekommen.
Die Rede ist vom Restaurant Elkano im baskischen Fischerdorf Getaria. Das Restaurant ist vor allem für seinen über Holzkohle gegrillten Steinbutt (rodaballo) berühmt und wird dafür von Essbegeisterten aus aller Welt gefeiert. Wer hier einkehrt, schätzt die Zubereitung eines perfekten Produkts mehr als sehr vieles andere. Und als ich den freundlichen Inhaber Aitor Arregui schließlich davon überzeugen kann, dass ich genau so einer bin, fühle ich mich wohl ähnlich wie Protagonist Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis‘ Roman American Psycho, als der sagt: „Als wir im Espace ankommen bin ich den Tränen nahe, weil ich felsenfest davon überzeugt bin, dass wir keinen anständigen Tisch bekommen werden. Aber wir bekommen doch einen, und eine Welle der Erleichterung durchströmt meinen Körper“.
Während der massive Eisengrill, der eher wie ein Folterinstrument aussieht, draußen noch weiter aufheizt, nimmt Herr Arregui die Bestellung entgegen, die er natürlich schon kannte (Steinbutt, Steinbutt, Steinbutt!), doch ich bestelle als Vorspeise noch ein Gericht mit kokotxas (€ 20), eine baskische Delikatesse aus einem unteren Kieferteil vom Seehecht, die ich eigentlich nicht besonders gerne mag. Ich bestelle gerne Dinge, dich ich „eigentlich nicht besonders gerne mag“, wenn ich weiß, sie noch nicht am richtigen Ort probiert zu haben. Der letzte Ort, an dem ich kokotxas probiert habe, war das DiverXO in Madrid, und als ich das der Kellnerin erzähle, verzieht diese nur mitleidensvoll ihr Gesicht.
Das hier ist ganz eindeutig der richtige Ort, was man spätestens bei dem eleganten Amuse-Bouche merkt, das von nichts ablenkt. Die marinierte Sardelle ist säurebetont, sehr frisch und ein exzellenter, produktnaher Anfang. (7/10)
Es folgen die kokotxas, und zwar als Trilogie. Die erste Variante wurde in Eigelb leicht frittiert, ist ganz zart und weist die typische, etwas glitschige Textur dieses Fischstücks auf. Der Geschmack erinnert eher an Muscheln (Auster oder Stabmuschel etwa) als an Fisch, denn er ist dominant und betont „fischig“ – und dabei überwältigend in seiner authentischen Schlichtheit. Noch etwas prononcierter in all diesen Attributen ist die zweite Variante, die lediglich ganz leicht gekocht wurde und dadurch noch näher an der Zutat ist. Die dritte Version ist auch nur leicht gegart und mit pil pil serviert, einer Sauce aus Olivenöl, Knoblauch und Petersilie: ebenfalls hervorragend. Der Gelatinegehalt von kokotxas ist hoch, daher sind meine Lippen inzwischen klebrig wie nach dem Probieren eines reduzierten Kalbsfonds. Das ist alles ganz großartig. Ich mag es vor allem, wenn ich ein Produkt ganz neu – und besser als zuvor – kennen lernen kann. Eine stetige Neugier und eine regelmäßige Überprüfung der eigenen Präferenzen und Maßstäbe ist der Kern jeder ernsthaften kulinarischen Bildung. (7/10)
Ich gehe kurz nach draußen, um mir anzusehen, was mein Steinbutt auf dem Grill macht. Dieses Exemplar hat ein Gewicht von ca. 1,3 kg (€ 70/kg).
Prächtig sieht er aus, eingeklemmt in einem speziellen Gitter (mit viel Patina), das sich leicht wenden lässt und den Fisch etwas auf Abstand vom glühend heißen Grillrost hält. Der Steinbutt weist inzwischen eine Farbpalette von Cremeweiß über Karamellbraun bis zu Schwarz auf; die teils graue, teils feuerrote Glut untermalt dieses appetitliche Stillleben perfekt.
Zurück am Tisch folgt wenig später der Butt, der ganz pur und ohne Beilagen serviert wird. Frühjahr sei die beste Zeit, um Steinbutt hier zu essen, erfahre ich, später im Sommer wird er fettiger und büßt dadurch etwas an Geschmack ein.
Man verspeist fast alles von dem Steinbutt und erlebt dabei, wie unterschiedlich die vielen Teile schmecken. Das Fleisch von der weißen, dem Meeresgrund zugewandten Seite des Fischs ist etwas karamellisiert und äußerst zart; das Fleisch der dunklen, sonnenzugewandten Seite ist minimal bitterer und magerer, aber auch dicker, wodurch der „Biss“ sich noch besser anfühlt. Eine Präferenz habe ich nicht, es geht ums Ganze. Jedes Teil des Fischs ist ein sensorisches und wohlschmeckendes Erlebnis.
Immer wieder kommt unser Kellner an den Tisch und präpariert geschickt weitere Teile des Fischs. Ein besonderer Genuss sind die seitlichen, stark gerösteten Teile, die man an der schwarzen, verbrannten Seite anfasst und von denen man dann das Fleisch, das sich zwischen den stabilen Gräten befindet, so abzuzelt wie das Bauchfleisch von Spareribs. Das ist eine köstliche, klebrige Angelegenheit, denn der Steinbutt enthält sehr viel Gelatine. So viel, dass aus der auf dem Teller befindlichen Flüssigkeit, unter der Zugabe von lediglich etwas Olivenöl und Salz, sogar noch eine Sauce angerührt wird.
Der Steinbutt wird kleiner und kleiner, am Ende ist nur noch etwas Gerippe, Haut und der Kopf ohne die schmackhaften Bäckchen übrig – sowie die Gewissheit, dass dies zweifellos der beste Steinbutt war, den ich je gegessen habe. (8/10)
Das Essen in diesem Restaurant ist ein bewegendes, erdendes und prägendes Erlebnis für jeden Freund guten Essens und guter Produkte. Es ist sehr wichtig, immer wieder auch so basisnah zu essen, um überhaupt in der Lage zu sein, Gerichte zu beurteilen und Präferenzen auszubilden. Ich betone das immer wieder. Das gilt für einen Steinbutt genauso wie für jedes andere Produkt. Wer ausschließlich Degustationsmenüs bei Wissler und Caminada isst, kann sich keine ernsthafte Meinung über gutes Essen bilden.
Es ist daher auch vollkommen inakzeptabel für mich, dass es Menschen gibt, die die Meinung äußern, keinen Fisch zu mögen. Auch der dann häufig folgende Zusatz, es käme natürlich darauf an, rettet über diese miserable Aussage nicht hinweg. Denn es kommt immer darauf an. Es kommt immer nur auf ein gutes Produkt an. Eindringlicher als im Elkano kann man das kaum erleben.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Elkano (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Aitor Arregui |
Ort: | Getaria, Spanien |
Datum dieses Besuchs: | 14.05.2016 |
Guide Michelin (E/P 2016): | * |
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