Le Louis XV – vive la Provence!
Die provenzalische Mittelmeerküche ist für mich eine der perfekten Küchen, so vollkommen und so erhaben wie z. B. die japanische. Geprägt von den aromatischen Gemüsen und Kräutern der Provence, bereichert durch frischestes Meerestier aus dem azurblauen Mittelmeer, herausgearbeitet in einer die Schätze der Natur huldigenden Art und Weise, bietet sie für mich höchste Genüsse. Die Küche ist einfach zu verstehen, hocharomatisch und gerade dadurch so einprägsam. Und vor allem ist sie eines: authentisch. Trends oder fremdartige kulinarische Einflüsse sind hier kaum ein Thema. Das ist mit Stillstand nicht zu verwechseln. Die französische mediterrane Küche ist ein kulinarischer Ruhepunkt, und Alain Ducasse einer ihrer größten Mäzene.
Wenn einen hier ein Gericht begeistert – das kann ein provenzalisches Lamm mit Kräutern sein, oder ein schlichter Salat mit knackigem Gemüse –, dann wird es einen fesseln in seiner schlichten Eleganz und beispiellosen Klarheit, und es wird einen nicht wieder loslassen. Das sollte man wissen, denn das birgt auch ein Risiko. Ein einfaches Blatt Kopfsalat wird nie wieder so schmecken wie nach Ducasse. Mit diesem Wissen und diesen Erfahrungen kehre ich heute Abend erneut in diesen Gastronomietempel ein.
Eine Tischgesellschaft von offenbar indischer Herkunft – verteilt je nach Personalrang auf verschiedene Tische – zeigt, was für groteske Szenen man hier überdies noch erleben kann: Da wird Kaviar aus Schüsseln bestellt, und die zweite oder dritte Flasche 1990er Château Lafite-Rothschild wurde gerade dekantiert, so schnell spült der eine Herr den raren Tropfen seine Kehle runter. Er hält das Glas nicht mal am Stiel fest. Da wird nicht genossen, sondern nur verschwendet. Es wäre aus gastronomischer Sicht natürlich nicht besonders klug, Derartiges zu unterbinden, denn hier in Monaco liegen die Millionen tagtäglich vor der Tür und wollen ausgegeben werden. Fünfstellige Einzelabrechnungen dürften in diesem Restaruant an der Tagesordnung sein.
Le Louis XV ist damit von vornherein ein Gastronomietempel der Superlative. Hier speisen Milliardäre, das Besteck ist vergoldet, und der üppig dekorierte Speisesaal mit Kronleuchtern, vielen Metern hohen Decken und gigantischen Blumengestecken ist königlich. Allerdings findet man inmitten dieser ganzen Dekadenz eine Küche vor, die jeden begeistern kann, der gerne isst. Eine zugängliche, leichte Küche voller Aromen und Finesse, die man einerseits durchaus als Gegensatz zu all dem Prunk betrachten könnte; andererseits ist sie genauso prachtvoll und auserlesen wie das Ambiente – und teuer obendrein. Speist man à la carte, kosten alle Gerichte um die Hundert Euro.
Weil ich es heute jedenfalls kaum abwarten kann, mich auf die wundervollen Gemüse zu stürzen, wähle ich das Menü Les Jardins de Provence für vergleichsweise günstige € 230 und lehne mich erst einmal bequem zurück. Es ist wie im Theater, das Treiben hier zu beobachten. Der Service könnte übrigens kaum professioneller sein: freundlich, effizient, souverän und diskret, ohne devot zu sein (nur am Nachbartisch, da will man das so). Hier ist jeder Gast willkommen und wird auch so behandelt, ob ein Renault-Clio-Mietwagen vor der Tür steht oder die 100-Meter-Yacht mit Hubschrauber in der Bucht.
Für den Zeitvertreib zum ersten Amuse-Bouche sorgen ein paar hauchdünne Gebäckstangen, in die Gemüse eingearbeitet sind. Eine Augenweide, und angenehm zum Knabbern (aber auch nicht mehr).
Als Amuse-Bouche gelangt ein kleines Schälchen mit diversen cruditées an den Platz, also rohe Gemüse. Radieschen, Rüben, Artischocke, Karotten, Sellerie, Salatblätter, dazu eine Tapenade aus schwarzen Oliven. Aber was Rüben! Was für Radieschen! Was für Karotten! Und was für eine Tapenade! Im Vergleich zu geschmacksneutraler Biokost aus dem Supermarkt ist das hier wie eine Haribotüte. Begeisternd gut! (Nicht die Haribotüte, sondern dieser Snack.) Das muss man wirklich erlebt haben, um zu verstehen, welche Pracht von einem einzelnen, rohen Gemüse ausgehen kann.
Erster Gang des Menüs ist eine velouté léger de lentilles vertes au fumet de gibier à plumes. Zu einem Potpourri aus feinsten Linsen, kleinen Karotten (mit großem Aroma) und anderem Gemüse, Speck sowie Stücke von Fasan und etwas angedickter Ziegenmilch wird eine Linsenvelouté angegossen. Zum Niederknien! Ob meine Gänsehaut von den feinen Aromen der Komponenten herrührt, die man alle einzeln herausschmecken kann, oder von der Wärme der Velouté, die sich wohltuend auf mich überträgt, kann ich nicht ausmachen. Ein wunderbares Gericht.
Es folgt der Cookpot de petit épeautre, légumes et fruits d’hiver. In Ducasse’ bekanntem Schmortopf findet man erneut wunderbares Gemüse, diesmal in Kombination mit Pfirsich – allein das ist schon herausragend –, das Ganze dann auf einer einem Risotto ähnelnden Zubereitung von Einkorn. Ja, das klingt recht einfach, aber genau darin liegt ja die Größe dieser Küche! So liest man sogar in der Speisekarte den Hinweis: „Le vrai goût des choses m’amène parfois à composer des plats très simples …“ („Der authentische Geschmack der Zutaten bringt mich manchmal dazu, sehr einfache Gerichte zu kreieren“). Das klingt fast so als wäre hierfür eine Entschuldigung nötig. Doch es gibt nichts zu entschuldigen, auch diese Komposition ist herausragend! Die Gemüse sind jedes Mal aufs Neue eine Offenbarung, die Kombination mit dem Pfirsich in diesem Gericht ist überraschend passend, und irgendetwas (vielleicht Piment d’Espelette oder pikanter Pfeffer) steuert eine ganz leichte, anregende Schärfe hinzu. Ein Hochgenuss!
Wie es weitergeht? Allein das Lesen der Beschreibung des nächsten Gerichts löst in mir ein Genusserlebnis aus. Vorschusslorbeeren? Ja, und wie! Eine derartige Kombination kann gar nicht misslingen: junge provenzalische Gemüse mit schwarzem Trüffel, Öl von Taggiasca-Oliven, Balsamessig und Salzblume (primeurs des jardins de Provence à la truffe noire, huile d’olives taggiasche de Terre Bormane, aceto balsamico et fleur de sel). Wie gesagt: unmöglich, aus diesen Zutaten allererster Güte irgendetwas herzustellen, das nicht hervorragend ist.
Und, wahrhaftig, wie grandios dieser Gemüsegarten ist! Die Artischocken, derentwegen ich weit reisen würde (wobei der Konjunktiv nicht ganz zutreffend ist), der warme Lauch und der durch den Balsamico säurebetonte Jus mit Trüffeln (die Schwarzen, die nicht „nach Trüffeln“ schmecken, sondern einfach nur erdig-pikant sind): all das formt ein Ensemble, welches nicht nur von größtmöglichem Wohlgeschmack ist, sondern auch noch so bekömmlich ist! Das klingt jetzt vielleicht etwas merkwürdig, aber es ist eine Tatsache, dass dieses Essen sich erheblich angenehmer anfühlt als solches, das in Dutzenden Arbeitsschritten präpariert, verändert und – lauwarm zusammengebastelt – serviert wird. Das ist vielleicht auch einfach eine Sache der Hygiene, ein riesiges Thema, das ich an dieser Stelle gar nicht besonders vertiefen möchte. Aber gegen die Keimbelastung durch in vielen Arbeitsschritten manipuliertes und kaum erhitztes Essen (wie es in der modernen, kreativen Küche häufig der Fall ist), muss sich der Körper häufig richtig wehren, so fühlt es sich zumindest manchmal an. Hier wird etwas geschnippelt, alles gegart, und fertig! (Stark vereinfacht ausgedrückt.) In jedem Fall: ich bin größter Verehrer solcher Kompositionen. Unglaublich, diese geschmackliche Tiefe und reizvolle Säure, und auch, dass die Gemüse selbst nach nicht unerheblicher Zeit des Nachgarens in dem heißen Jus immer noch alle à point sind. Das ist kein Zufall, sondern perfektes Küchenhandwerk. Brilliant!
Der letzte Gang vor dem (optionalen) Käse ist ein Risotto mit Artischocken (risotto au artichauts épineux dorés, en fins copeux, le jus des feuilles acidulé), das mit feinen Abschnitten von sowohl roher als auch sautierter Artischocke serviert wird. Ein hervorragender Kontrast zwischen kühl/erdig und warm/geröstet! Wer sich hier über die Wiederholung von Zutaten beschwert, ist fehl am Platz: genau darum geht es hier! Ich könnte nicht genug davon bekommen. Und wo sind bloß die kleinen Karotten?
Mit diesen Eindrücken hätte das Menü enden sollen. Es hätte meine Höchstnote erhalten.
Doch der Käse, wenngleich bester Qualität, ist etwas zu kühl und wirkt dadurch unreif; und auch das Dessert mit exotischen Früchten (fruits exotiques et meringue craquante, compotée de mangue, infusion citronelle/passion) ist nicht optimal: die Meringue-Konstruktion wirkt etwas funktionslos, und das Obst kommt lediglich gewöhnlich zur Geltung. Das ist für eine Drei-Sterne-Patisserie ziemlich schwach.
Alles Wichtige ist gesagt. Ich bin ein großer Freund der Küche dieser Region, und man kann sie bei Alain Ducasse auf allerhöchstem Niveau genießen. Dies ist eines der Restaurants, die verschiedene Zutaten in einer Pracht servieren, die man viele Jahre lang (oder für immer) als Referenz abspeichern kann: die Pracht der Natur. Vive la Provence!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Le Louis XV (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Franck Cerutti / Dominique Lory |
Ort: | Monaco |
Datum dieses Besuchs: | 26.12.2014 |
Guide Michelin (F/MC 2014): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |