New York City – Nebenschauplätze

Abgesehen von den Restaurants am oberen Ende des Firmaments schätze ich die Gastronomielandschaft New Yorks (und der USA im Allgemeinen) besonders wegen der zahllosen Möglichkeiten, entspannt und gleichzeitig sehr gut essen gehen zu können. In New York gibt es Hunderte Michelin-Empfehlungen mit keinem oder einem Stern, bei denen man fast immer mit folgenden Konstanten rechnen kann:

- Eine abwechslungsreiche, frische, leichte, produktorientierte Küche- Eine spannende Weinkarte für alle Budgets, auch glasweise- Eine entspannte, lebhafte Atmosphäre- Ein junges, smartes Serviceteam- Moderate Preise

Restaurants mit diesen hierzulande nicht zu findenden Traummaßen geben sich dort in einigen Vierteln regelrecht die Klinke in die Hand. Bei meinem Aufenthalt im Oktober besuchte ich auch wieder einige Restaurants dieser Kategorie, manchmal nur für einen kleinen Snack. Hier meine Eindrücke:

Public

Schon bei meinem letzten Aufenthalt in New York im Januar 2012 hatte ich gleich für den ersten Abend eine „Sterne-Reservierung“ in Hotelnähe getätigt – wenn schon, denn schon. Damals führte mein Übereifer zu einer traumatisierenden Erfahrung mit der fürchterlich artifiziellen Küche im Corton; dieses Mal habe ich eine Reservierung im erheblich entspannter konzipierten Public, ein paar Gehminuten vom Hotel entfernt.

Ich komme dort früher an als geplant (der Jetlag macht sich bemerkbar), aber noch gibt es keine Möglichkeit, meinen müden Kopf abzustützen. Ich schlage etwas Zeit tot und sitze fünf Minuten vor meiner Reservierung dann schließlich am Tisch.

Der Laden brummt. Stehende und sitzende Gäste verteilen sich über mehrere Räume an Tresen und Tischen, das Licht ist schummrig, der Lautstärkepegel hoch, die crowd stylish. Es herrscht gute Stimmung.

Die einseitige Weinkarte ist wunderbar. Klein, fein, unkonventionell. Ich bestelle eine Flasche „Pleiades XXII“ vom Weingut Sean Thackrey in Kalifornien, eine recht eigenständige Cuvée aus Pinot Noir, Viognier und Sangiovese ($ 80). Genau das Richtige, um der siebenundzwanzigsten Stunde dieses Tages zuzuprosten.

Die Gerichte, die folgen, lassen indes allesamt zu wünschen übrig. Im eigentlich recht guten Linsensalat mit grünen Bohnen, Pekannuss, Granatapfel und Avocadoöl-Vinaigrette ($ 14) beiße ich mir mit einem Steinchen zunächst fast die Zähne aus. Einfach Pech, könnte man meinen, doch der Kellner begegnet meinem erstarrten Gesichtsausruck mit verräterischem Täterwissen. „Wieder ein Stein? Ah… Tut mir leid.“ – Das klingt ja schon fast nach Vorsatz.

Die Blumenkohlsuppe meiner Begleitung schmeckt wie mit Chilipulver aufgekochtes Wasser. Wir lassen den Teller zurückgehen.

Als weitere Vorspeise wähle ich Mushroom ceviche with miso aubergines and ginger Ponzu sauce ($ 12), ein säure- und umamibetontes Gericht, dem es leider an Balance fehlt. Die Säure von der Sauce ist so übertrieben, dass ich am liebsten einen Löffel Backnatron hinterheressen möchte. Na ja, ein Stück von dem trockenen Brot tut’s auch.

Beim Hauptgang war mir nach etwas Herzhaftem wie Pasta, also wählte ich Ricotta cavatelli with carrot Bolognese, Thai basil and cashew pesto ($ 21), dazu die Option butter poached lobster (zzgl. $ 10). Abgesehen davon, dass es sich eindeutig nicht um Cavatelli handelt, sondern um Penne – meiner Einschätzung nach nicht einmal hausgemacht –, ist das Ganze nicht mehr als ein sättigendes, gerade so hinnehmbares Nudelgericht.

Ein Essen, das mit so vielen Nachlässigkeiten zubereitet wurde, hat in New York echten Seltenheitswert. Und was ein Michelin-Stern hier zu suchen hat, ist mir schleierhaft.

Mit dem beruhigenden Wissen, dass diese Stadt es viel besser kann, gehe ich raus in die Nacht. Diese Stadt schläft vielleicht nicht, aber ich werde genau das jetzt tun.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Public (→ Website)
Chef de Cuisine: Brad Farmerie
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 09.10.2013
Guide Michelin (NYC 2014): *
Meine Bewertung dieses Essens 6 (Was bedeutet das?)

NoMad

Eine Reservierung hier lag mir besonders am Herzen, weil Daniel Humm aus dem Eleven Madison Park hier federführend tätig ist. In der Tat ist das Restaurant eine Wucht, allein schon wegen der spektakulären Inneneinrichtung des gleichnamigen Hotels, die ein wenig an einen exklusiven englischen Herrenclub erinnert: Ledersessel, viel dunkles Holz, gedimmtes Licht, und es gibt eine imposante Bibliothek, die zu Cocktails einlädt.

Das mit Trüffel gespickte und mit Foie Gras gefüllte Huhn ist hier eigentlich die einschlägige Empfehlung. Doch die wähle ich an diesem Abend nicht; ich habe vielmehr Lust, mich ein wenig durch die Karte zu probieren.

Vorweg wähle ich Fluke (Flunder) mit mariniertem Sauerampfer, Amarant und eingelegten Pilzen ($ 19), ein wunderbar leichtes Gericht mit hervorragenden Produkten, erfrischendem Säurespiel, aber etwas vielen „Krümeln“ (vom Amarant), an denen man sich leicht verschluckt. In Summe aber sehr gut!

Die Atmosphäre ist erheiternd. Alle Tische sind – wie überall in guten New Yorker Restaurants – besetzt mit Gästen unterschiedlichster Couleur. Es wird konversiert, sich amüsiert und genossen. Und während mich der Schallpegel der dinierenden Menge wohlwollend einlullt, spiele ich mit meiner Flasche 2001 Château Musar das Spiel „Glas voll, Glas leer, Glas voll, Glas leer … Flasche leer“. Life is good!

Es geht weiter mit Tagliatelle mit Königskrabbe, Meyer Lemon und schwarzem Pfeffer (kleine Portion $ 20). Makellose hausgemachte Pasta, frisches Krebsgetier und ein beherztes Säurespiel setzen den unbeschwerten Genuss fort. In diesem Moment einfach großartig.

Anschließend gibt’s Ferkel (Suckling Pig, $ 35), konfiert mit Birnen, Kohl und Senf. Das Gericht ist deftig, herzhaft und dennoch sehr fein. Im Mittelpunkt steht abermals ein hervorragendes Hauptprodukt: zart, saftig und mit knuspriger Kruste.

Den Rest des Abends verbringe ich mit „meiner Musar“, bevor ich beschwingt das NoMad verlasse, um zwei Tage später erneut hier einzukehren, zu Drinks und ein paar unverschämt guten Hühnchenflügeln: frittiert, heiß und pikant – genau das Richtige nach meinem Dinner im Per Se.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: NoMad (→ Website)
Chef de Cuisine: Abram Bissell
Ort: New York City, USA
Datum dieser Besuche: 11.10.2013 und 13.10.2013
Guide Michelin (NYC 2014): *
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)

Acme

Von diesem Restaurant in NoHo hört man viel; kein Wunder, schließlich ist der Initiator Mads Refslund einer der Gründer des legendären Noma. Doch im Acme erwartet einen kein experimentelles fine dining, sondern ein pulsierendes „Nachbarschaftrestaurant“. Es ist laut, voll und gemütlich.

Die Speisekarte ist unterteilt in Raw, Cooked, Sea/Land, Soil, Dessert und bietet modernes, produktfokussiertes soul food mit Anspruch. Man findet auf der Karte schlicht Unglaubliches: Radieschen mit Auster-Petersilie-Emulsion; Foie Gras und Kaisergranat mit Walnuss und  Zitrone; Beef-Tenderloin mit fermentierten Pflaumen; „Country Toast“ mit Feigen, Sellerie und Blauschimmelkäse; Spinat mit Muskatnuss; hausgemachte Pommes mit Kräutermayonnaise; Schweinenacken; dry-aged Ribeye … Zu Preisen ab zehn Dollar.

Ich habe keine Notizen zu meinen Gerichten, aber alle glänzten mit makellosen, frischen Zutaten und sorgfältiger Zubereitung. Eine wunderbare, von Leichtigkeit, Produktverständnis und Souveränität geprägte Küche für jeden Tag. Nichts für Verkrampfte.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Acme (→ Website)
Chef de Cuisine: Mads Refslund
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 12.10.2013
Guide Michelin (NYC 2014): empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens 6,5 (Was bedeutet das?)

Momofuku Ssäm Bar

David Changs gastronomisches „Momofuku“-Imperium besteht mittlerweile aus über ein Dutzend Restaurants in New York, Sydney und Toronto. Überwiegend sind das recht einfache, trendige, asiatische Restaurants mit unterschiedlichem Fokus. Die Speerspitze bildet das mit zwei Sternen ausgezeichnete Tresenlokal Momofuku Ko, das mich letztes Jahr überaus begeistern konnte. Heute kehre ich für einen kurzen Lunchversuch im Momofuku Ssäm Bar ein, ein vom Interieur sehr einfach gehaltenes und dabei auch recht ungemütliches Restaurant im südöstlichen Teil Manhattans.

Die Snacks vorweg – Smoked Salmon Buns / horseradish, egg, sesame ($ 8) sowie Crispy Duck Wings / pinapple, cilantro, cashew ($ 7) – sind in Ordnung, aber nicht wiederholungsbedürftig, danach folgt ein Hauptgericht mit Ente, die aufgrund einer recht speziellen Zubereitung (gekocht?) aussieht wie Leberkäs, offenbar eine Spezialität des Hauses (die Ente, nicht der Leberkäs). Ausgerechnet davon habe ich kein Foto gemacht. Ich finde die Ente unappetitlich; das Restaurant ist gähnend leer; ich möchte gehen. Kulanterweise streicht man das Gericht von der Rechnung, obwohl ich versuchte, die Schuld auf mich zu nehmen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Momofuku Ssäm Bar (→ Website)
Chef de Cuisine: Matthew Rudofker
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 10.10.2013
Guide Michelin (NYC 2014): empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)

Mein noch immer vorhandener Appetit und der dorthin ohnehin angestrebte Fußmarsch führen mich zurück ins Restaurant meines Hotels, auf das so gut wie immer Verlass ist:

The Mercer Kitchen

Das im Kellergeschoss gelegene Restaurant meines New Yorker Wohnzimmersist über jeden Zweifel erhaben. Die unkomplizierte Bistro-Karte mit Salaten, Sashimi, Burger, Huhn und weiterem Essen für Leib und Seele steht schließlich unter der Obhut von Jean-Georges Vongerichten, dessen Drei-Sterne-Dependance ich zwar nicht in denkwürdigster Erinnerung habe, aber das ist schon so viele Jahre her – da kannte ich noch nicht einmal der Unterschied zwischen Garnelen und Kaisergranat. (Aber das geht vielen Köchen hierzulande ja dauerhaft so.)

Jean-Georges hin oder her, mein halbes Huhn ist heiß, saftig und makellos, die Gemüse dazu knackig, das Püree wie es sein muss – und ich danach proppevoll, obwohl ich doch nur ein leichtes Lunch im Momofuku auf dem Plan hatte. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag, um Verzicht zu üben. (Wer es glaubt, wird selig.) Abermals soul food par excellence. Und als ich kurz mal in Richtung restrooms verschwinde, kommt mir Hollywood-Größe Kevin Bacon entgegen, den ich mit seiner Sonnenbrille und Mütze fast nicht erkannt hätte. Es gibt Schlimmeres!

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: The Mercer Kitchen (→ Website)
Chef de Cuisine: Richard Farnabe
Ort: New York City, USA
Datum dieses Besuchs: 10.10.2013
Guide Michelin (NYC 2014): empfohlen
Meine Bewertung dieses Essens 6,5 (Was bedeutet das?)