Le Bernardin, ten points – Le Bernardin, dix points
Fast genau sechs Jahre kenne ich dieses Haus jetzt schon. Und nicht ein einziges Mal wurde ich hier enttäuscht; ach, was für eine Untertreibung, jedes Mal war ich ausnahmslos begeistert, und zwar mit jedem Bissen, den ich mit meiner Gabel hier in meinen Mund schob und dann am Gaumen genüsslich zu bleibenden Eindrücken verarbeitete.
Ich habe es bereits beim letzten Mal gesagt, aber Le Bernardin ist für mich unumgänglich, wenn ich in New York bin. Da mag ein Cézar Ramirez noch so besessen auftischen, ein Thomas Keller noch so eine tolle Aussicht haben – käme es hart auf hart, stünde ich sofort an der Seite von Eric Ripert und seinem magischen Genusstempel in der 51. Straße zwischen sechster und siebter Avenue.
Als ich heute zum Lunch eintrete, beginnt der Wohlfühlfaktor bereits damit, dass mich der Maître d‘ auf Französisch anspricht. Woher er weiß, dass ich auch Französisch spreche, kann ich mir bis heute nicht zusammenreimen.
Unser Tisch überblickt den ausgebuchten Speisesaal. Jackettpflicht wird hier großgeschrieben, aber wer glaubt, dass es hier steif zugeht, irrt gewaltig. Spätestens als sich die zwei österreichischen Sommeliers Aldo Sohm und seine sympathische Kollegin einbringen, hat sich der Besuch schon gelohnt, bevor ich überhaupt etwas auf dem Teller habe.
Glücklicherweise habe ich das bald. Ich wähle vier Gänge à la carte und schließe damit dutzende andere aus. Welch Schmach! Doch nur wenig später verfliegt, wie immer, jede Befürchtung, etwas verpasst zu haben.
Hamachi ist das erste Gericht, das, wie alle hier, nur nach ihrer (Meeres-)Zutat benannt ist. In der Speisekarte heißt es darunter: „Flash Marinated Hamachi; Sea Beans and Daikon; Black Garlic-Ponzu Sauce“. Es fällt schwer, ein solch perfektes Geschmackserlebnis zu beschreiben, bei dem man unweigerlich die Augen schließt, um den Genuss zu maximieren. Das Produkt ist phänomenal: Die Textur ist leicht rau und bissfest, die Temperatur gerade perfekt, und die erst am Tisch angegossene Sauce ist süffig/salzig/umami. Fantastisch!
Nächster Gang ist Langoustine, hier leicht sautierter Kaisergranat, dazu schwarze Trüffeln, Pfifferlinge und eine Vinaigrette mit altem Balsamessig. Schon die erste Gabel, die ich zusammenstelle – von allem etwas, aber nicht zu viel – ist unvergesslich. Dies ist eines der besten Gerichte, die ich je gegessen habe! Der (noch am selben Tag aus Schottland eingeflogene) Kaisergranat gehört zu den besten Exemplaren, die ich bis dato auf dem Teller hatte. Die Textur zart, aber al dente, der Geschmack leicht süßlich. Die leicht cremige Vinaigrette ummantelt das Produkt raffiniert, ohne es dabei zu verschleiern, und fügt mit der Unterstützung von Schnittlauch und ein paar kleinen Friséesalatblättern eine appetitanregende Säure hinzu. Trüffelscheiben und Pfifferlinge „erden“ das Gericht. Ein seltener Moment der kulinarischen Perfektion, bei der Produkt und Wohlgeschmack im Mittelpunkt stehen.
Die nächste Gaumenfreude ist White Tuna, was jedoch keinen Thunfisch bezeichnet, sondern eine Buttermakrele. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass sowohl die amerikanische FDA als auch das Bundesinstitut für Risikobewertung in Zusammenhang mit dem Verzehr dieser Fischart einige recht unappetitliche Gesundheitsrisiken aufführt, die durch den extrem hohen natürlich Wachsester-Anteil des Fischfleischs verursacht werden können, hätte ich das Gericht wohl nicht bestellt. In Japan ist die auch Escolar genannte Makrelenart deswegen sogar verboten (und die verbieten dort bekanntermaßen nicht einmal Kugelfisch) …
Doch hier schwant mir – auch später – kein Übel, sondern ein weiteres grandioses Gericht, das ich in bester Erinnerung behalten werde. Die Makrele ist in Olivenöl pochiert, dazu gibt es Maitake-Pilze, Zitronenvinaigrette und ein Püree aus Nizza-Oliven. Der Fisch weist eine bemerkenswerte Textur auf, die tatsächlich etwas an Butter erinnert, und der zurückhaltende Geschmack erinnert ein wenig an Thunfisch. Die Säure der Vinaigrette ist auch hier wieder willkommen und rundet dieses für mich vollkommen perfekte Gericht harmonisch ab.
Dann geht es weiter mit Black Bass. Wie ich erst später festgestellt habe, hatte ich bereits beim letzten Mal ein sehr ähnliches Gericht mit dieser Hauptzutat bestellt, die mir zwar sehr gefiel, mich aber nicht vollends begeisterte. Letzteres tut nun dieser Teller. Ein prächtiges Stück Barsch ist so phänomenal auf der Haut gegrillt, dass man dem Stück mit einer Gabel ein knuspriges Geräusch entlocken kann, wie bei einer krossen Gans aus dem Ofen. Darunter offenbart sich dann saftiges, blendend weißes Fleisch. Und der Fisch ist auch noch richtig heiß! Wunderbar dazu auch die weiteren Bestandteile „Kobocha-Kürbis-Ceviche“, geröstete Shishito-Paprika (ganz kleine Streifen auf dem Kürbis) sowie eine „peruanische Chicha-Sauce“. Ein Referenzgericht für auf der Haut gebratenen Fisch. Absolut sensationell.
Natürlich würde man dem Restaurant nach einer derartigen Glanzleistung sogar verzeihen, wenn es mit den Desserts nicht so ganz hinhaut – wenn man das denn müsste. Doch auch die Kreationen aus der Patisserie sind perfekt. Schon eine mit Schokoladenmousse und Meersalz-Karamell-Creme gefüllte Eierschale löffelt man genüsslich aus.
Unverschämt gut ist mein Chocolate-Popcorn, bei dem ein quaderförmiges Schokotörtchen mit Madagaskarschokolade sowie Popcorn-Eis und kandierte Erdnüsse für einen meiner denkwürdigsten süßen Menü-Abschlüsse überhaupt sorgen. Süße, Knusprigkeit, Kälte, vorzügliche Schokolade und einfach wahnsinnig gutes, cremiges Eis … ein Dessert-Traum!
Bei meinen Notizen zu diesem Essen (die ich meist hastig in mein Handy tippe, damit ich mich schnell wieder den Genüssen zuwenden kann) stehen hinter jedem Gericht zehn Punkte, meine Höchstnote. Dass ich diese überhaupt vergebe, ist selten genug – dass alle Gerichte diese Note bekommen, ist, glaube ich, noch nie vorgekommen. Es wäre also durchaus legitim zu behaupten, dass das heute mein bestes Essen überhaupt war. Man kann jetzt natürlich noch andere Faktoren in die Waagschale legen, doch besser als hier geht’s nicht – nur anders. Es geht aufwändiger, kreativer, fleischiger, vegetarischer, lokaler, abwechslungsreicher, üppiger usw. Aber all das wollte ich heute nicht.
Das Le Bernardin ist ein fantastisches Restaurant mit einer zwar formellen, aber durch einen heiteren Lautstärkepegel und das freundliche Serviceteam angenehm aufgelockerten Atmosphäre. Hier werden zugängliche, befreiend unkomplizierte Gerichte serviert, die dem Wohlgeschmack und dem Genuss gewidmet sind. Trends und Moden ziehen hier so rasant dran vorbei wie die Yellow Cabs in der Straße.
Und nächstes Mal – das habe ich mir fest vorgenommen – werde ich zwei Reservierungen hier haben: eine mittags und eine abends. Ich werde das Restaurant in dieser Zeit nicht verlassen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Le Bernardin (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Eric Ripert |
Ort: | New York City, USA |
Datum dieses Besuchs: | 11.10.2013 |
Guide Michelin (NYC 2014): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |