Graham Elliot – Essen im Windkanal
Kennt jemand diese fürchterlichen Bolero-Gaststätten mit lauter Musik, einer Speisekarte mit Nachos und Champignons in Knoblauchsauce, das Ganze in einem Ambiente für Heranwachsende, die gerade alkoholische Mischgetränke für sich entdeckt haben? So in etwa fühle ich mich hier bei Graham Elliot. Nur die Speisekarte ist anders. Und Heranwachsende sehe ich hier nur in Begleitung ihrer zahlungskräftigen Eltern. Aber dennoch: Laute Popmusik dröhnt ungehindert durch den völlig leeren Speisesaal in meinen von der heutigen Anreise gejetlaggten Kopf, den ich eigentlich gerade dazu benutzen wollte, in Ruhe im Menü zu stöbern. Von links friert ein eiskalter Luftstrom aus der Klimaanlage weitere Sinne ein und lässt sich auch nach entsprechender Bitte nicht reduzieren. Auch ein anderer Tisch ändert daran nichts, außer, dass der Luftstrom jetzt von vorne kommt. Dabei bin ich ein großer Freund von Klimaanlagen; aber es hat eben alles seine Grenzen.
Doch vor große Herausforderungen stellt mich die Wahl der Speisen nicht. Die Entscheidung heißt lediglich „entweder/oder“: Entweder das tasting menu (12 Gänge, $125) oder das chef’s menu (16 Gänge, $165). Letzteres soll es sein, sowie die fast ausschließlich süditalienische Weinbegleitung für $80 – Jetlag und die anderen widrigen Umstände hin oder her.
Ich weiß gar nichts über dieses Restaurant, außer dass der Guide Michelin dessen Küche zu Chicagos drei besten zählt. Ich wusste auch nicht, dass Namensgeber Elliot offenbar ein „Fernsehkoch“ ist. (Wie soll man das bei zwei Michelin-Sternen auch ahnen?) Diese Tatsache erklärt auch den extrem institutionalisierten Ablauf hier. Das Personal wiederholt an jedem der wenigen inzwischen besetzten Tische dieselben Phrasen und fragt auch mal, ob man nicht mal ein Blick ins aktuelle Kochbuch werfen möchte …
Doch ich versuche mich in Objektivität, und es geht auch gleich los. Mit einem lollipop („to prepare the taste buds“).
Man hätte mir natürlich auch verraten können, dass die Weinbegleitung hierzu gleich einen Sparkling vorsieht, dann hätte ich mir nämlich die Bestellung meines Glases Champagners (Laurent-Perrier NV, $25!) sparen können. Wie dem auch sei, der Lolli ist weich und zum Abbeißen, und er gefällt mit seinem kecken Spiel mit Zitrusaromen.
Ein Häppchen mit Lachs („salmon“) ist in Ordnung, nicht mehr. Obwohl: Die Präzision der Aromen und die Qualität sind durchaus bemerkenswert – was zumindest, entgegen der Atmosphäre, erhoffen lässt, hier noch Spannenderes aufgetischt zu bekommen.
Und in der Tat! „Radish“,ein Teller mit Radieschen, Rettich und (irgendwie mit Balsamessig behandelter) roter Bete ist – texturell und aromatisch – exzellent. Durch die laute, nervtötende Musik und dem Polarwind in meinem Gesicht würde das glatt nach Wiederholung schreien.
„Prawn“, mit rohen Garnelen und Avocado, bietet ein frisches Geschmackserlebnis, doch die schleimige Textur der rohen Krebstierchen war bekanntermaßen noch nie so ganz mein Fall. Noch konnte mich ohnehin niemand davon überzeugen, dass Garnelen eine sinnvolle Zutat in der anspruchsvollen Küche darstellen können. Dennoch ist dieser Gang handwerklich nicht zu beanstanden.
Das Serviertempo hier ist so hoch, dass mir die Teller noch unter der Nase weggezogen werden, während ich noch den letzten Bissen des aktuellen Gangs im Mund habe. Die Amerikaner loben dies vermutlich als schnellen und effizienten Service, aber mich – und jeden anderen genussorientierten Menschen – verstört diese Unsitte.
Es hat sich inzwischen bei mir eine ungewohnte Situation eingestellt: Egal, wie gut das Essen hier ist, weiß ich jetzt schon, dass ich nie wieder hier einkehren werde.
Doch auch die restlichen Gerichte sind alle überraschend gut.
Überaus wohlschmeckend ist der folgende „octopus“ mit betörenden Grillaromen und Dill; auch ein kaltes Karottensüppchen („carrot“) bietet ordentlichen Gaumenspaß.
Ein Gurkensorbet mit Koriander („cucumber“) hat etwas „zu viel von allem“, während ein Kräcker mit Foie Gras und Marmelade fabelhaft ausfällt („foie“), genauso wie der wunderbar goldbraun gebratene Heilbutt („halibut“) mit knackigem Gemüse.
Die Weinbegleitung ist nicht manchmal interessant, aber in Summe wenig bemerkenswert. Die Beschreibungen, die der Kellner (Sommelier?) dazu rezitiert, gehen meist ins Lächerliche über: „und dann ist da dieses staubige Pilzaroma, das macht dies und das …“. Aha.
Das köstliche, aber atmosphärisch beklagenswerte Mahl wird weiter abgespult mit „morel“ (Morcheln und Krabben in einem interessanten Zusammenspiel) und „snail“ (Schnecken aus Burgund mit einem perfekten Risotto und einem schönen Säurespiel). Es ist wirklich beachtlich, wie gut immer alle Komponenten auf einander abgestimmt sind. Nie ist hier irgendetwas überflüssig. Schade nur, dass der Rahmen den Genuss überhaupt nicht zu unterstützen vermag.
Das Hauptgericht „lamb“ (leider kein Foto!) überzeugt am wenigsten. Zunächst ist das Fleisch viel zu roh, doch trotz anstandsloser Neuzubereitung nach meinem Hinweis überzeugt die Qualität nicht.
Der Käsegang folgt in Form eines an Schokolade und irgendein Getreide flüssig angegossenen Epoisse (sehr gut!); danach folgen ein nicht zu beanstandendes Erdbeer- sowie ein Schokoladendessert.
Was soll ich sagen? Ich bin froh, dass es zu Ende ist. Man benötigt schon ein dickes Fell, um in dieser herzlosen Atmosphäre objektiv zu bleiben. Das Essen hat seine Auszeichnung mehr oder weniger verdient, aber in einem eiskalten Windkanal bei lauter 80er-Jahre-Musik von dutzenden Hilfskellnern durch mein Menü gejagt zu werden, entspricht nicht im geringsten meiner Vorstellung eines gelungenen Restaurantbesuchs.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Graham Elliot (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Graham Elliot |
Ort: | Chicago, USA |
Datum dieses Besuchs: | 23.07.2013 |
Guide Michelin (CHI 2013): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |