Andreini – Algheros schwarzes Schaf
Eine Kurzreise führt mich ein paar Tage nach Alghero, eine kleine Hafenstadt in Sardiniens Nordwesten. (Die Tatsache, dass auch mein voriger Blog-Eintrag zumindest entfernt von Sardinien handelt, ist übrigens reiner Zufall.) Eine mittelalterliche Festung wacht über den Ort, zwischen den engen Gassen flattert Wäsche zum Trocknen, und gepflasterte Straßen führen vorbei auf Plätze und Kirchen und andere gepflasterte Straßen.
Autos und das vorhandene Mobilfunknetz sind fast das Einzige, das einen darin erinnert, dass die Zeit hier nicht stehengeblieben ist.
Gastronomisch findet man hier eine Mischung aus schlichter Meeresküche und ballaststoffreicher italienischer Hausmannskost vor. Die regelmäßige Konfrontation mit der gewöhnungsbedürftigen sardischen Spezialität Bottarga ist das einzige wirklich charakteristische Merkmal der hiesigen Küche, die von äußeren Einflüssen geradezu abgeschottet erscheint. Das war hier nie anders und wird vermutlich auch noch lange so bleiben.
Zwei einheimische Brüder, Cristiano und Gian Luca Andreini, wagen es jedoch, etwas frischen Wind in die sardische Küche zu bringen. Das scheint nicht jedem im Ort zu gefallen. Lieber kehrt man hier, so höre ich heraus, in die lokalen Fischrestaurants ein. Da weiß man schließlich, was auf den Teller kommt. Dass sich allerdings auch Küchenchef Cristiano Andreini seinen Wurzeln treu bleiben will, wird schon durch seine Aussage deutlich, seine Küche sei „immer anders“, doch „ändere sich nie“. Evolution scheint hier ein wenig in negatives Licht gerückt worden zu sein; vielleicht ist ja die Kirche daran schuld.
Der Gegensatz zwischen einer Verpflichtung zum Bewahren und dem gleichzeitigen Wunsch, Neues zu riskieren, lässt mich in jedem Fall mit besonderer Spannung auf den heutigen Abend im „Andreini“ blicken. Seit 2010 leuchtet auch ein Michelin-Stern über dem Restaurant – der einzige weit und breit.
Um viertel vor acht betreten meine Begleitung und ich zum ersten Mal an diesem Abend das Restaurant, wir werden jedoch recht schroff wieder hinausgeschickt. Hier hat mein kein Herz (oder zumindest einen Aperitif) für Überpünktliche. Dabei ist Italien doch bekannt für die eher freie Interpretation von Terminen… Doch das ist offenbar Auslegungssache.
Einen kurzen Spaziergang später klappt es dann mit dem Einkehren. Das Interieur des Restaurants befindet sich unter dickem Mauergewölbe, ist überwiegend fensterlos und überrascht durch eine kuriose Zusammenstellung antiker und moderner Gegenstände (auch hier manifestiert sich also das Thema „alt und neu“); an den Wänden hängen unzusammenhängende Fotografien und Bilder. Es sieht aus wie in einem Trödelladen, in dem man Essen kann. Ziemlich originell und einigermaßen gemütlich.
Die Speisekarte, unterteilt in ein flexibles Menü und in „Klassiker“, bietet insgesamt um die zwanzig Gerichte. Die Auswahl erfordert zunächst etwas Arbeit, die uns der freundliche Kellner mit einem Schaumwein der Rebsorte Torbato und einigen Erläuterungen erleichtert. Es läuft darauf hinaus, dass uns ein Menü aus den Klassikern zubereitet wird.
Das Preisniveau ist, wie überall hier vor Ort, vergleichsweise niedrig. Das 6-gängige Menü wird später mit € 68 auf der Rechnung stehen, und auf der überwiegend aus lokalen Erzeugnissen zusammengestellten Weinkarte findet man kaum einen Wein über € 40; selbst einige wenige Burgunder, die die Karte ergänzen, erhält man hier zum sonst üblichen Endverbraucherpreis (und das ist nicht einmal in Burgund selbst der Fall). Im Übrigen wird hier nahezu jede Flasche glasweise ausgeschenkt, auf die man Lust hat. Wir überlassen dem Sommelier die Wahl einer roten Flasche. Ein 2006 Tenute Dettori Renosu aus der Cannonau-Traube wird dann den überwiegenden Teil unseres Essens begleiten.
Das Menü beginnt mit einem dreiteiligen Amuse-Bouche (kein Foto), das Kürbis, Aubergine, Karotten und Oktopus thematisiert. Ordentlich ausgeführt, aber nichts Bewegendes.
Der erste Gang (Fiori di zucca farciti di triglie, zuppa di erbe amare e ragù di cipollotto e sedano rapa in agrodolce) besteht aus einer tadellosen Rotbarbe, die in eine ganz leicht frittierte Zucchiniblüte eingesteckt wurde und dadurch wie eine unbekannte Frucht anmutet. Das ganze befindet sich in einer Suppe aus herben Kräutern, darin noch Zwiebeln und Sellerie in einer Art Ragout. Das Gericht spielt abwechselnd mit fischigen, bitteren und süßsauren Aromen, was in der Tat etwas eigensinnig ist, in diesem Fall allerdings recht gut – aber auch nicht besser – gelingt.
Für den nächsten Gang wird zunächst aus einem großen Käselaib Pecorino abgeflämmt. In den Laib werden dann Bandnudeln eingebracht und geschwenkt, bis sie genügend Käse aufgenommen haben. Die Pasta wird mit etwas Abrieb von Bottarga, Pfeffer und Salbei serviert (Taglioni in crosta di pecorino, salvia e bottarga di muggine).
Kurzum: das ist ein ganz hervorragendes Pastagericht. Der Biss der hausgemachten Taglioni ist so perfekt und mundend, dass sämtliche Nudeln, die ich vorher gegessen habe, wie eine völlig andere Zutat erscheinen. Die Herzhaftigkeit des Pecorino und die salzig-fischigen Akzente des Bottarga wecken geradezu animalische Instinkte. Ich frage mich, ob der Mensch tief im Innern nicht Pastafresser ist, statt Fleischfresser. Das hier ist der Inbegriff von „lecker“, in all seiner Profanität. Blitzschnell habe ich den Teller blankgeputzt. Doch dabei ist Vorsicht geboten. Es handelt sich naturgemäß um ein äußerst schweres und sättigendes Gericht; ich fühle mich wie sonst nach zehn Gängen. Eine Pause muss her.
Etwas später geht es dann weniger begeisternd weiter. Ein kurz angebratener Thunfisch mit einer Kruste aus getrockneten Früchten ist zu trocken (schade um das ohnehin rar gewordene Tier), die dazu gereichten roten Zwiebeln sind etwas verloren, und das Paprikaeis wirkt hilflos und nur um der Technik willen geeist. (Tonno „alalunga“ in crosta di frutta secca, cipolle rosse di tropea, gelato al peperone).
Das Milchferkel (Maialino croccante e le sue interiora) ist wunderbar zart, die Kruste ist herzhaft überglänzt, aber für meinen Geschmack etwas zu knusprig. Die Grillgemüse (Lauch, Mangold, Karotte) sind auffallend gut, die Sauce ist etwas sparsam dosiert und die dazu angerichteten Innereien sind mir etwas zu streng. Dann ist noch ein frittierter Quader auf dem Teller, der staubtrocken und nicht weiter identifizierbar ist. In der Form wirkt das Gericht nicht harmonisch. Eine deutlichere Fokussierung auf die sehr guten Bestandteile Fleisch und Gemüse wäre hier wünschenswert gewesen.
Mit dem süßen Teil des Menüs geht es dann leider komplett bergab. Von dem Pré-Dessert mit einem nach Wasser schmeckenden Granité und einer ebenso neutralen Panna-Cotta-Halbkugel mit seltsamer Konsistenz probiere ich nicht viel; ein Dessert-Duo präsentiert Mandel, Apfel, Pistazie, Schokolade und weitere Dinge in überwiegend schleimiger Form und mit muffigem Nachgeschmack; und die Pralinen zum Caffè haben diese weiße Verfärbung alter Schokolade. Eigentlich alles zum Reklamieren, doch daran ist mir hier nicht gelegen. Die Stimmung im Restaurant ist heiter, Wein ist noch im Glas, und hinsichtlich des Sättigungsgrads besteht ohnehin kein Zweifel.
Keine Frage: wen es, wie mich, mal nach Alghero verschlägt, der sollte hier einkehren. Zwar sind ausgefeilte Hochgenüsse hier wohl vorerst nicht zu erwarten, doch ist das Gesamterlebnis Andreini angenehm unverbraucht, erheiternd skurril und durchaus kurzweilig.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Andreini (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Cristiano Andreini |
Ort: | Alghero, Italien |
Datum dieses Besuchs: | 09.10.2011 |
Guide Michelin (IT 2011): | * |
Meine Bewertung dieses Essens |