L’Ambroisie ‒ den Göttern nah
Der Besuch in Bernard Pacauds Genusstempel an der Place des Vosges klingt so lange nach wie ein großer Wein und wird mit zunehmender Reflektion — Monate nach dem Besuch — immer besser. Das mag seltsam klingen, sollte ein Restaurant doch auf Anhieb, also im Moment des Essens, begeistern – was es ohne den geringsten Zweifel auch tut – aber Pacauds Gerichte bieten weit mehr als Genuss. Sie sind von einer gewaltigen Aussagekraft, die mir erst mit genügend Abstand vollends bewusst wird. Je länger ich vom L’Ambroisie fort bin, desto eher möchte ich zurückkehren und mit meinen gereiften Eindrücken ein weiteres Mal dort speisen.
Das prachtvolle Interieur des Restaurants ist intim und gemütlich. Die Abwesenheit von Fenstern sorgt für wohlige Diskretion. Gedeckte Farben, große Gemälde, ziervolle Gladiolen, Tafelsilber, Kerzen und ein großer Kronleuchter verleihen dem Raum, in dem wir speisen, ein aristokratisches Ambiente. Das Serviceteam strahlt von Anfang an eine Kombination aus Professionalität und herzlichem Charme aus — eine Verbindung, die uns bis zum Schluss wohl fühlen lässt.
Aus der Karte, die an diesem Abend vierzehn Gerichte sowie eine Käseauswahl und vier Desserts umfasst, wählen wir drei Gerichte und bereits vorab ein Dessert, da die zeitaufwändige Zubereitung der Patisserie nicht à la minute erfolgen kann.
Wir werden (zu Recht) höflich darauf hingewiesen, dass unsere Auswahl recht üppig sei, lassen uns jedoch nicht davon abbringen, und unser Kellner nimmt unsere Bestellung entgegen mit den Worten „Alors, on fait la fête!“ — ja, also, feiern wir!
Derweil nippen wir am Brut Premier von Louis Roederer, bei dem wir um das Öffnen einer zweiten Flasche bitten mussten — die erste hatte Kork, und es war mir durchaus unangenehm, dies ansprechen zu müssen.
Wir erhalten alsbald den Gruß aus der Küche: escalopine tiède de saumon fumé. Lauwarmer, ganz leicht geräucherter Lachs, der durch seine buttrige, wunderbar gleichmäßig durchwachsene Fettmaserung im Mund schmilzt. Es beginnt mir zu dämmern, was hier heute Abend Gesetz ist und ich erst viel später wirklich verstehen werde: Die Zutat auf dem Teller ist von einer Qualität, von der ich mir keine Steigerung vorstellen kann. Mehr noch: Jede Gabel, jeder Bissen suggeriert fast instinktiv und schockierend eindringlich, dass die Natur unter den allervorteilhaftesten Bedingungen genau jene Erzeugnisse hervorbringt, die heute Abend hier dargeboten werden. Das Ende der Qualitätsleiter muss hier erreicht sein.
Wie soll man zusammenfassen, wie uns der im Anschluss servierte Klassiker des Hauses, Feuillantine de langoustines aux graines sésame, sauce curry (€ 89), schmeckt? Die bretonischen Langustinen, die zwischen zwei hauchdünnen Scheiben aus Sesamteig und auf Spinat gebettet sind, sind derart gut, dass selbst der feinste Hummer daneben plump erschiene. Die milde Curry-Sauce unterstreicht lediglich das ohnehin schon Offensichtliche. Man möchte jeden Bissen hinauszögern, so lange wie möglich auskosten; der Genuss ist vollkommen, jeder Preis erscheint angemessen.
Wie soll man beschreiben, wie nun der Wolfsbarsch schmeckt, der am selben Tag handgeangelt und dann nach Paris gebracht wurde, um nun auf meinem Teller zu liegen? Man muss schon bretonischer Fischer sein, um dies zu wissen — oder eben hier einkehren. Die escalopines de bar sind vorsichtig gegart und werden samt der Haut serviert auf frivolités de courgettes (Frivolitäten von Zucchinigemüse) an einer nage réduite au caviar osciètre gold (€ 150). Jede Gabel dieses Gerichts schmeckt nach Meer. Die Sauce, eine leichte Artischockennage mit üppig viel Kaviar, unterstreicht auch hier das Hauptprodukt in eindrucksvoller Art. Pacaud setzt den Kaviar hier nicht seiner selbst wegen ein, sondern weil dieser mit dem Aroma des Fischs eine verblüffende, perfekte Harmonie eingeht.
Bereits gut gesättigt (man hatte uns ja gewarnt) und möglicherweise schon etwas weniger empfänglich für weitere ambrosische Sinneseindrücke, enttäuscht ein wenig die volaille de Bresse rôtie au beurre d’herbes, salade de girolles et courgettes (€ 180), die wohlbemerkt in zwei Gängen serviert wird. Die Enttäuschung rührt gleichwohl lediglich daher, dass sich mir bei diesem Gericht — im Gegensatz zu allem vorher Erlebten — nicht der Eindruck von Perfektion einstellt. So zart und saftig das Geflügel auch ist und so ungemein aromatisch das dazu gereichte Gemüse sich präsentiert, z. B. die hauchdünne Steinpilz-Tranche, die nach Wald duftet, umso mehr fehlt mir bei diesem Gericht eine begleitende Sauce. Das von Natur aus magere Geflügelfleisch schafft es nicht von allein, saftig zu sein und macht das Gericht zeitweise sogar anstrengend zu essen — unabhängig von meinem Sättigungsgrad. Der sonst berechtigte und einleuchtende Minimalismus in Pacauds Gerichten erschließt sich mir bei diesem Gericht nicht und steht im Widerspruch zu allen anderen Gerichten, bei denen die Hauptzutat stets mühelos als Alleindarsteller auftreten kann.
Das Dessert tritt erneut in die Fußstapfen der vorangegangenen Perfektion. Der Klassiker tarte fine sablée au chocolat, glace à la vanille Bourbon (€ 30) erlaubt keine Steigerung hinsichtlich sowohl dem Schokoladenkuchen als auch so etwas scheinbar Profanem wie Vanilleeis. Man muss dieses hauchdünne, mit flüssiger, warmer Schokolade gefüllte Törtchen einfach gegessen haben, um dieses Erlebnis zu verstehen. Großartig, und wahrscheinlich nicht umsonst seit Jahrzehnten auf der Karte.
Ich möchte an dieser Stelle das Fazit ziehen, dass das Essen im L’Ambroisie annähernde Perfektion bietet. Aber was bedeutet das? Das bedeutet für mich, dass es nicht möglich ist, besser zu speisen als hier — nur noch anders. Daraus folgt sinngemäß und für mich zutreffend, dass keine ultimative kulinarische Perfektion existiert. Die kompromisslose Suche nach dem jeweils bestmöglichen Produkt seiner Art und die das Produkt huldigende Zubereitung führt bei Pacaud zu Gerichten, die himmlisch wohlschmeckend sind und mit ihrer natürlichen Qualität triumphieren. Dabei ist die Küche von Bernard Pacaud weder kreativ noch konzeptionell aufwändig; sie ist genau das Gegenteil der Küchen von Avantgardisten wie Pierre Gagnaire und Jean-Georges Klein, die eine Perfektion auf anderem, aber genauso berechtigten Niveau, erreichen.
So erschließt sich mir auch erst im Nachhinein, warum der versilberte Salzstreuer mit gewöhnlichem Tafelsalz gefüllt ist und nicht etwa ein Schälchen mit Fleur de Sel oder ähnliche zeitgenössische Sperenzchen den Tisch ziert. Da hier natürlich jedes Detail eine bewusste Entscheidung ist, geht auch von diesem scheinbar nachlässigen Detail in Wahrheit eine klare Botschaft aus: die der kompromisslos perfekten Qualität aller Produkte auf dem Teller, von der nichts ablenken soll — kein Salz, keine Butter, nicht das Brot, nicht der Wein. Allein die Zutaten werden zelebriert. Selbst großer Wein wird in kleinen, dickwandigen Bistrogläsern serviert, was auf einen Weinliebhaber dann doch ein wenig befremdlich wirkt und tatsächlich etwas vom Weingenuss raubt, der im Übrigen bestand aus Vosne-Romanée Aux Brûlées 2001 von Jean Grivot, Porto Jamos Pinto 2001 und ClosDady 2002, letztere zum Dessert.
Die Rechnung am Ende des Abends war ebenso denkwürdig wie das Essen (€ 1.020 zu zweit), allerdings sind die Preise in meinen Augen absolut gerechtfertigt, betrachtet man die rigorose Auslese der feinen Produkte und den rundum perfekten Service.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | L'Ambroisie (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Bernard Pacaud |
Ort: | Paris, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 11.09.2009 |
Guide Michelin (F 2009): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |