Jacobs Restaurant – Krisenkater an der Elbchaussee

Obgleich dies der erste Bericht ist, den ich zum Jacobs in diesem Blog schreibe, waren meine Besuche hier über die Jahre bereits zahlreich – zu Abendessen, Mittagessen, Weinproben, Geburtstagsfeiern, privat und geschäftlich.

Ich habe viele Assoziationen zu dem schönen Haus mit hanseatischem Flair an der Elbchaussee in Hamburg, aktuelle wie vergangene: Heimathafen meiner Weinleidenschaft, „Lieblingsrestaurant“ in Hamburg, schönste Terrasse im Sommer und vieles mehr. Die mediterran-französische Küche Thomas Martins mit stets hervorragenden Zutaten und einigen der besten Saucen, die ich je gekostet habe, in Kombination mit einem ungezwungenen, aber professionellen Serviceteam sorgen für meine regelmäßige Wiederkehr – so, wie auch am heutigen Abend.

Es ist jedoch auffällig leer hier, sowohl im Restaurant als auch im Kaminzimmer. An einem Donnerstagabend ist diese Tatsache schon eher ungewöhnlich und wirkt ein wenig befremdlich auf mich. Auch vom Personal erkenne ich heute niemanden; Frau Weh, die Sommelière, ist ebenfalls nicht zu sehen. Ob Thomas Martin heute im Haus sei, frage ich den Kellner, aber „Herr Martin ist heute nicht im Haus“ lautet die Antwort.

Das muss nichts heißen, sage ich mir und studiere bei einem Glas Bruno Paillard Champagne NV (€ 16) die Karte. Neben den etwas „abgespeckten“ À-la-carte-Positionen bietet die Karte zwei Menüs: „Klassiker aus Jacobs Restaurant“ (4–5 Gänge, € 92–€ 104) und „Thomas Martins Menüempfehlung“ (5–7 Gänge, € 106–€ 129). Ich entscheide mich für einen gesunden Mix aus beiden Welten, sechs Gängen insgesamt (€ 119). Der Champagner gefällt mir sehr gut, ein zweites Glas muss her.

Es werden einige Amuse-bouches auf einer Schieferplatte serviert – in tragikomischem Küchendeutsch mit Betonung auf dem ersten A. Eine Toastecke mit etwas Frischkäseähnlichem, ein offenbar gewöhnliches Stück Ananas an einem Holzspieß sowie zwei weitere Häppchen. Ich finde die gesamte Auswahl schockierend langweilig und uninspiriert – man könnte diese Häppchen gut auf einer Stehparty in einem Autohaus servieren.

Der Gruß aus der Küche ist ein Kokossüppchen mit Tandoori-Spieß, dazu Glasnudelsalat und Mangokompott. Am besten gefallen mir das Süppchen und der Spieß. Die einzelnen Bestandteile des Gerichts lassen sich aufgrund ihrer jeweiligen Darreichungsform auch kaum miteinander kombinieren, was etwas schade ist, da die Komponenten einzeln wenig zu bieten haben. Etwas Frust stellt sich ein, bin ich hier doch wirklich positivere Überraschungen gewohnt. Aber der Abend ist ja noch jung.

Es folgt der Gâteau (ausgesprochen von der Bedienung wie Getto nur mit A) von der Gänseleber mit Granny-Smith-Apfel, Brioche und Gänselebereis. Ich finde Thomas Martins Foie-Gras-Gerichte üblicherweise sehr gut; dieses fällt allerdings aus der Reihe. Das Eis schmeckt mir nicht – ist es doch prinzipiell nur eine kältere, noch cremigere Darreichungsform der Gänseleberterrine, die letzterer somit nichts hinzuzufügen hat. Ein süßer oder herzhafter Gegenpol fehlt bei diesem Gericht. Das Stück Brioche ist im Verhältnis zur Menge an Foie Gras zu gering portioniert, und der Apfel ist lediglich als hauchdünne Dekoration wahrzunehmen – ich frage mich, warum er in der Beschreibung des Gerichts überhaupt erwähnt wird. Letzten Endes hat man nur (gute) Foie Gras auf der Gabel, da passende Beilagen fehlen. Was ist hier heute nur los?

Äußerst positiv kommt derweil der 1997er Hermitage von Chave (€ 200) daher, der durch eine elegante, blumige Syrah-Würze fast schon an einen Pinot erinnert und sich langsam, aber sicher, im Glas entfaltet.

Der folgende Skrei im Kartoffel-Steckrübensud mit Petersilienpesto istgut, wenngleich auch der Sud nicht die Begeisterung auslösen kann, die Martins Saucen und Sude sonst bieten. Der Fisch ist von sehr guter Qualität; aber was würde ich jetzt für eine Sauce auf Basis von Martins Hummerfond geben, in dem üblicherweise mehr Hummer verkocht sind als in seinen Gerichten selbst! Kartoffeln und Steckrüben sind da nur ein schwacher Trost, und ein Hummergericht war auf der Karte auch nicht zu finden.

Das Tatar vom Kalbsfilet mit grüner Sauce und Gewürzkräcker beeindruckt mich dann ebenfalls nicht. Die grüne Sauce ist viel zu sehr von Petersilie dominiert und wenig differenziert. Das Tatar ist gut, aber bspw. nicht vergleichbar mit dem minutiösen, aber geschmacklich hervorragenden Tatar von Wahabi Nouri vor einigen Wochen. Der Gewürzkräcker schmeckt so traurig wie ein für Diabetiker geeigneter Kräcker aus dem Bio-Reformhaus.

Ich bin enttäuscht und überrascht über die bisher durchweg uninspirierte Küche, die weder durch besonders gute Zutaten noch durch geschmackliche Höhepunkte begeistern kann, sondern überwiegend mittelmäßig ist. Auch der Service ist sehr verhalten, wirkt gar ein wenig gelangweilt und versprüht nichts von der Nonchalance, für die ich mich hier häufig begeistert habe. Meine Hoffnung für den heutigen Abend gebe ich jedoch noch nicht ganz auf. Vielleicht überzeugen ja noch die nächsten Gänge.

Der geschmorte Aal mit Rosenkohl und Dörrobst, auf den ich schon sehr gespannt bin, ist gut. Lediglich die Süße des Dörrobsts ist mir ein wenig zu dominant. Ein interessantes, aber dennoch eher neutrales Gericht ohne Tiefen und ohne wirkliche Höhen.

Das beste Gericht an diesem Abend ist für mich das nun folgende Ochsenfilet mir Périgord-Trüffeljus und weißem Pfefferschaum. Die knackigen jungen Gemüse, die in der Beschreibung des Gerichts keine Erwähnung finden, müssen sich gleichwohl nicht verstecken und bringen einen Hauch Frühling auf den Teller; das Ochsenfilet ist von sehr guter Qualität, und der Trüffeljus die erste wirklich Martin’sche Sauce an diesem Abend, wenn auch nicht seine beste. Dieses Gericht lebt eindeutig von der Qualität der Zutaten und der würdigen Sauce.Ich bin nun gespannt auf den Käsewagen, da ich nach meinem letzten Besuch Herrn Martin meinen Unmut über die auch hier verwendete Tessiner Feigen-Senf-Sauce aus dem Haus „Wolfram Berge Delikatessen“ kundgetan hatte. Er pflichtete mir in einer E-Mail bei, die Condiments zum Käse überdenken zu wollen. Über die Antwort hatte ich mich sehr gefreut – eine typische Jacobs-Geste. Ich bin nun gespannt, ob dem angekündigten Überdenken auch Taten gefolgt sind.

Ich wähle einige Käsesorten aus. Die Kellnerin wirkt dabei sehr unsicher, kann zu kaum einem Käse etwas sagen und portioniert etwas zu großzügig, sodass meine Auswahl von nur vier Sorten bereits einem kleinen Festmahl nahekommt. Dies ist etwas unangenehm für den Gast, da man gezwungen wird, etwas liegenzulassen. Lernende Kräfte sind natürlich vollkommen akzeptabel, ich finde sie häufig sogar noch sympathischer als routinierte, aber von Sympathie ist bei der Dame leider auch nichts zu spüren. Sei es drum, jeder hat mal einen schlechten Tag, und mich stört das heute Abend nicht im Geringsten. Ich hätte es einfach dem Haus selbst gewünscht, dass wenigstens das Service-Team alles gegeben hat. Eine seltsam resignierte Atmosphäre jedoch dominiert heute den wie immer geschmackvoll eingerichteten Saal.

Die Condiments wurden tatsächlich überdacht und sind zweifelsohne hausgemacht: ein guter, hausgemachter Feigensenf, der etwas sanfter und leicht süßer ist als das industrielle Pendant sowie ein getrüffelter Honig – eine originelle Idee, die sehr gut zum Käse passt.

Vor dem Dessert wird ein kleines Schokoladenpraliné gereicht, dazu etwas, das wie Glasscherben aussieht und mich nicht reizt, zu probieren.

Das Dessert, dessen Bezeichnung ich versäumt habe zu notieren, ist gut, aber ebenfalls kein Meisterstück aus der sonst häufig hervorragenden Patisserie dieses Hauses. Besser jedoch ist der 2003er Château Rieussec (€ 99 / 0,375 l), den ich immer wieder hervorragend finde: „fett“, karamellig und „klebrig“ mit Noten von tropischen Früchten, Mandeln und Brioche. Dieser Wein ist das eigentliche Dessert heute Abend.

Es ist das erste Mal, dass ich hier wirklich fast durchweg enttäuscht wurde. Was ist hier passiert? Hat „die Krise“ nicht nur die Karte verkleinert, sondern auch Kürzungen an Personal und Qualität vorgenommen? Ich werde es sicherlich bei meinem nächsten Besuch herausfinden, denn dieser eine Abend macht all die anderen nicht ungeschehen.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Jacobs Restaurant (→ Website)
Chef de Cuisine: Thomas Martin
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 18.02.2010
Guide Michelin (D 2010): *
Meine Bewertung dieses Essens 6 (Was bedeutet das?)