Populäre Irrtümer (und Fakten) über Sternerestaurants

Von Julien Walther, www.troisetoiles.de

Rund um Sternerestaurants, Sterneköche und Michelin-Sterne kreisen zahllose Anekdoten, Meinungen und Mythen – und vor allem eines: Irrtümer. Auch in Deutschland, wenn jedes Jahr Restaurants mit Sternen ausgezeichnet werden, überschlagen sich die Medien mit Halbwissen und schlecht recherchierten Berichten. Doch nicht nur Journalisten und Restaurantgäste, auch Köche und Gastronomen haben im Bereich der Sterne oft Wissenslücken.

In diesem Artikel – und in meinen zahlreichen Berichten über Restaurants in diesem Blog – möchte ich dazu beitragen, etwas Licht ins Dunkle zu bringen. Immerhin geht es um Genuss – so schwierig ist das nicht zu verstehen.

Was bedeuten Sterne bei Restaurants? 🔗

Spricht man im Zusammenhang mit Restaurants von Sternen, sind damit fast immer die Michelin-Sterne gemeint. Mit diesem Symbol, dem Stern (der grafisch eher an eine Blume erinnert), kennzeichnet der französische Restaurant- und Hotelführer Guide Michelin Restaurants mit ganz besonders guter Küche.

  • Ein Stern steht für „eine Küche voller Finesse – einen Stopp wert“.

  • Zwei Sterne bedeuten „eine Spitzenküche – einen Umweg wert“.

  • Drei Sterne kennzeichnen „eine einzigartige Küche – eine Reise wert“.

Was das konkret bedeutet, lässt sich nur mit viel Erfahrung und entsprechenden Vergleichsmöglichkeiten verstehen. Ein Sternerestaurant in Paris kann sich fundamental von einem Sternerestaurant in Tokio unterscheiden, und selbst innerhalb ein und derselben Stadt gibt ein Stern keinen Aufschluss darüber, welche Art von Restaurant oder Küche den Gast erwartet.

Gemein ist einer Bewertung mit Sternen in der Regel immer eine hohe Qualität von Zutaten, ein gewissenhaftes Kochhandwerk und ein konstantes Niveau. Ob es sich bei dem Lokal um ein einfaches Bistro oder ein luxuriöses Restaurant handelt, ist für eine Bewertung mit Michelin-Sternen unerheblich. Sterne werden ausschließlich für das Essen auf dem Teller vergeben. Aspekte wie Ambiente, Weinkarte, Service, Ausblick oder Preise fließen nicht in die Bewertung ein. (Siehe auch: Wie bewertet der Guide Michelin Restaurants?)

Seltener sind mit Sternen auch andere Sterne als die des Guide Michelin gemeint. Zum Beispiel die Sterne des Forbes Diamond Award in den USA, der bis zu fünf Sterne vergibt und dabei auch den Service und die Ausstattung eines Restaurants bewertet; oder die Restaurantbewertungen der New York Times, die bis zu vier Sterne vergibt; oder Hotel-Sterne, die wiederum ein ganz anderes Thema sind. Es gibt auch noch andere Restaurantführer mit anderen Bewertungssystemen, z. B. in Deutschland den ARAL-Führer, den VARTA-Führer und den Gusto. Besonders bekannt sind in Frankreich und Österreich auch die »Hauben« und Punkte des Restaurantführers Gault&Millau.

Die weltweit wichtigste und begehrteste Auszeichnung bleiben jedoch die Sterne des Guide Michelin – die härteste Währung und wichtigste Auszeichnung in der Gastronomie.

Was ist der Guide Michelin 🔗

Der Guide Michelin ist ein renommierter Restaurant- und Hotelführer, der vom französischen Reifenhersteller Michelin herausgegeben wird. Man kann den Guide Michelin im Buchhandel erwerben. Es gibt ihn für viele Länder und Regionen der Welt – aber nicht in allen, daher gibt es auch nicht überall Michelin-Sterne.

Vielleicht haben Sie sogar Michelin-Reifen an Ihrem Auto. Genau derselbe Konzern, der diese Reifen produziert, testet und bewertet auch Restaurants.

Foto: © MICHELIN

Dass ausgerechnet ein Reifenhersteller Restaurants bewertet, geht auf eine mehr als hundert Jahre alte Idee der Brüder André und Édouard Michelin zurück. Sie führten im Jahr 1900 den ersten Reiseführer für Autofahrer ein, der neben praktischen Reisetipps auch kulinarische Empfehlungen enthielt. Ihre Idee war es, Autofahrern bestimmte gastronomische Ziele schmackhaft zu machen – so schmackhaft, dass man Umwege nur des Essens wegen in Kauf nimmt. Dies wiederum sollte der Verschleiß – und Verkauf – von (Michelin-)Reifen erhöhen. Das System mit ein, zwei und drei Sternen kam erst etwas später hinzu.

Bis heute ist der Guide Michelin eine der angesehensten Marken in der Welt der Gastronomie, ein Symbol für höchste Qualität. Wenngleich der Michelin-Konzern keine schwarzen Zahlen mit dieser Sparte schreiben dürfte, ist der Guide Michelin ein Prestigeobjekt, ähnlich wie einst die Concorde für Air France. Neben der klassischen Buchform ist der Guide inzwischen auch komplett online verfügbar. Die Bücher spielen zunehmend eine untergeordnete Rolle.

Unterm Strich bleibt wichtig: Der Guide Michelin ist eine Publikation für Restaurantgäste, nicht für Köche oder Gastronomen. Wer ein gutes Restaurant sucht, ob mit Stern oder ohne, ob einfach oder luxuriös, greift mit dem Guide Michelin zu einer der verlässlichsten und informativsten Quellen.

Wie bewertet der Guide Michelin Restaurants? 🔗

Der Guide Michelin beschäftigt anonyme Restauranttester, die sogenannten Inspektoren. Anders als bei vielen anderen Restaurantführern, sind die Inspektoren festangestellte Mitarbeiter bei Michelin und verfügen in der Regel über umfangreiche Berufserfahrung im Gastgewerbe. Viele von ihnen waren zuvor Restaurantleiter, Sommeliers oder Hotelmanager.

Die Inspektoren entscheiden Anhand verschiedener Kriterien, ob ein Restaurant grundsätzlich empfehlenswert ist und damit auch einen Eintrag im Guide Michelin erhält. Die Sterne sind eine zusätzliche Auszeichnung für Restaurants mit einer ganz besonders guten Küche. Die meisten Restaurants im Guide Michelin sind nicht mit Sternen ausgezeichnet. (Mit Stand Oktober 2024 empfiehlt der Guide Michelin weltweit 17 276 Restaurants, davon haben 3 530 einen, zwei oder drei Sterne, also rund 20 Prozent.)

Der Guide Michelin differenziert zwischen gastronomischen und kulinarischen Merkmalen. Gastronomische Merkmale, wie z. B. um welche Art von Restaurant es sich handelt, welche Küche grundsätzlich serviert wird, in welcher Preiskategorie es einzuordnen ist, ob man mit Kreditkarte bezahlen kann, eine Klimaanlage vorhanden ist, eine schöne Aussicht genießt oder eine beachtenswerte Weinkarte erwarten kann, haben einen deskriptiven Charakter. Das bedeutet, dass diese Merkmale im Guide Michelin beschrieben, aber nicht bewertet werden. Diese Beschreibung erfolgt über kleine Symbole und manchmal auch im Text.

Die Einordnung der kulinarischen Qualität hat dagegen einen wertenden Charakter. Geht es zum Beispiel um die Frage, wie gut die Küche eines ohnehin schon im Guide Michelin empfohlenen Restaurants ist, beurteilen die Inspektoren des Guide Michelin mehrere Faktoren: die Produktqualität, das Küchenhandwerk und Know-how, das Maß an Originalität oder Einzigartigkeit und die Beständigkeit der Speisen insgesamt und über die Zeit. Je höher diese Kriterien erfüllt werden, umso höher die Chance auf einen, zwei oder sogar drei Michelin-Sterne.

Welche Restaurants bewertet der Guide Michelin?

Der Guide Michelin wird für viele Länder und Regionen der Welt publiziert und jährlich neu aufgelegt – von Nordamerika über Europa bis Asien. In jeder Region, für die ein Guide Michelin existiert, werden die Restaurants jährlich neu besucht, von den Inspektoren überprüft und im Guide Michelin beschrieben und bewertet. Es werden immer neue Regionen vom Guide Michelin erschlossen.

Grundsätzlich sind alle Arten von Restaurants im Guide Michelin vertreten – ganz gleich, ob es sich beispielsweise um ein einfaches alltägliches Restaurant oder um ein luxuriöses Hotelrestaurant handelt. Sogar Fast-Food-Restaurants finden ihren Platz im Guide Michelin, besonders dort, wo traditionelle Gerichte wie Streetfood in Thailand oder Ramen-Bars in Japan mit frischen, authentischen Zutaten zubereitet werden.


Im Folgenden geht es nun um die größten Irrtümer und Mythen rund um Sternerestaurants.

👉 Irrtum 1: Nur luxuriöse Restaurants werden mit Sternen ausgezeichnet 🔗

Alle Arten von Restaurants können mit Sternen ausgezeichnet werden. Ob französisches Bistro, englischer Pub, asiatischer Streetfood-Imbiss, Sushi-Restaurant oder der Italiener um die Ecke: Man findet im Guide Michelin alle möglichen Lokale mit Michelin-Stern.

Ein luxuriöses Ambiente, makelloser Service, eine umfangreiche Weinkarte mit Sommelier, teures Geschirr und vergoldete Wasserhähne auf den Toiletten sind nicht erforderlich, damit der Guide Michelin ein Restaurant mit Sternen auszeichnet. Denn für Michelin-Sterne zählt ausschließlich die kulinarische Qualität auf dem Teller. (Siehe auch: Wie bewertet der Guide Michelin Restaurants?)

Dass die Wahrnehmung landläufig eine andere ist, hat viele Ursachen, unter anderem:

  • Um auf einem hohen Niveau zu kochen, benötigt man gute Zutaten. Hochwertige, frische und oft seltene Zutaten sind teurer und erhöhen die Betriebskosten eines Restaurants. Diese Kosten werden häufig an die Gäste weitergegeben, was zu höheren Preisen führt.

  • Höhere Betriebskosten für Ausstattung und Ambiente: Obwohl das Ambiente nicht in die Sternebewertung einfließt, investieren viele Spitzenrestaurants in ein gehobenes Umfeld, um Gästen ein besonderes Erlebnis zu bieten. Dies beinhaltet oft eine hochwertige Einrichtung, exklusives Geschirr, feine Weine und besonders qualifizierte Mitarbeiter.

  •  Erwartungen der Gäste: Gäste, die ein Sternerestaurant besuchen, erwarten oft ein gewisses Maß an Luxus und Exklusivität. Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, gestalten Restaurants ihr Angebot entsprechend. Dieser Punkt ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt.

  •  Historische Gründe: Traditionell wurden Michelin-Sterne oft an luxuriöse (französische) Restaurants vergeben, was das Bild verstärkt hat, dass Luxus ein Kriterium für die Auszeichnung ist. Obwohl sich der Guide Michelin längst geöffnet hat, hält sich dieses Bild hartnäckig.

Diese Punkte machen deutlich, warum sich der Mythos hält, dass hauptsächlich luxuriöse Restaurants mit Michelin-Sternen ausgezeichnet werden. Die Wahrscheinlichkeit, bei Michelin-Sternen auf ein Restaurant mit hochwertigem Ambiente in einer gehobenen Preisklasse zu stoßen, ist zwar erhöht, aber der Kausalzusammenhang ist falsch. Der Guide Michelin bewertet ausschließlich die Qualität der Küche und nicht das Maß an Luxus oder die Preisklasse eines Restaurants.

💡 Aus der Praxis
  • Brat, London: Ein rustikaler Pub mit vielen preiswerten Gerichten, der trotz seines einfachen Ambientes mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Hier zählt allein die Qualität der Speisen, nicht etwa ein exquisites Ambiente.
  • Canton 8, Shanghai: Dieses einfache Restaurant, vor dem sich schon Mittags oft lange Schlangen bilden, serviert hochwertiges Dim Sum und klassische kantonesische Gerichte zu erschwinglichen Preisen. Das Restaurant wurde mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet.
  • Sukiyabashi Jiro, Tokio: Drei Sterne im U-Bahn-Schacht! Eines der berühmtesten Sushi-Restaurants der Welt bietet nur ein paar Plätze am Tresen, keinen nennenswerten Service, und das Essen dauert keine zwanzig Minuten (ist dafür aber sehr teuer). Hier zählen allein das Handwerk des alten Meisters und die herausragenden Zutaten. (Inzwischen ist das Restaurant allerdings nicht mehr im Guide Michelin enthalten, siehe Irrtum 3: Sterne können zurückgegeben werden)

👉 Irrtum 2: Sterne werden verliehen 🔗

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass die Inspektoren des Guide Michelin ein Restaurant besuchen und es anschließend mit einem Stern auszeichnen. Tatsächlich »erhält« ein Restaurant einen Michelin-Stern erst zu dem Zeitpunkt, an dem der Guide Michelin für die jeweilige Region veröffentlicht wird, in der sich das Restaurant befindet. Dies geschieht je nach Region einmal im Jahr zu festgelegten Terminen.

Die Michelin-Inspektoren bewerten Restaurants kontinuierlich über das ganze Jahr hinweg, aber ihre Ergebnisse werden gesammelt und erst mit der jährlichen Publikation des jeweiligen Guides bekannt gegeben.

Regelmäßig liest man Pressemeldungen, in denen es bspw. heißt, dass einem Restaurant »nur drei Monate nach der Eröffnung ein Stern verliehen« wurde. Dies erweckt dein Eindruck, dass Sterne wie eine Art Trophäe zu beliebigen Zeitpunkten an Restaurants vergeben würden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Erst durch die Veröffentlichung des Guide Michelin erfahren die Köche und Gastronomen von der Auszeichnung ihres Restaurants.

Wir erinnern uns: Der Guide Michelin ist kein Branchenverein, der Köche auszeichnet (siehe: Was ist der Guide Michelin?), sondern ein jährlich neu aufgelegter Restaurantführer für Gäste, der nach wie vor in Buchform im Handel erhältlich ist. Die »Verleihung« eines Sterns entspricht daher nichts anderem als dem Abdruck des Sternsymbols neben dem Restauranteintrag im Guide Michelin.

Verzerrt wird diese gesamte Betrachtung durch die inzwischen regelmäßig stattfindenden Sterne-Zeremonien, die sogar vom Guide Michelin als »Sterne-Verleihung« bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um in der Regel live im Internet übertragene Veranstaltungen für Vertreter von Gastronomie und Presse, bei der die Michelin-Sterne (und andere Auszeichnungen wie z. B. die Nachhaltigkeitsauszeichnung »Grüner Stern«) in einem zeremoniellen Rahmen erstmals verkündet werden. Die Küchenchefs der ausgezeichneten Restaurants sind meistens anwesend und werden auf die Bühne gerufen. Hierdurch entsteht ein festlicher »Verleihungs-Charakter«, der jedoch nichts daran ändert, dass die Sterne auch ohne diese Verleihung feststehen – nämlich im Guide Michelin selbst.

💡 Aus der Praxis
  • Für die viele Küchenchefs und Gastronomen sind die Tage, die dem Erscheinungsdatum des neuesten Guide Michelin vorausgehen besonders spannend. Küchenchefs, die ambitioniert auf einen neuen Stern für ihr Restaurant hinarbeiten oder Köche bereits besternter Restaurants, die hoffen, ihre Auszeichnung zu behalten: Sie alle warten mit großer (An-)Spannung auf die neuen Ergebnisse. In den sozialen Medien werden zu diesem Zeitpunkt viele Gerüchte ausgetauscht und Informationen gesucht.
  • Interessanterweise lässt sich selbst aus der Einladung eines Kochs oder einer Köchin zu einer »Sterne-Verleihung« nicht schließen, ob die Einladung aufgrund einer neuen Auszeichnung erfolgt. Dem Guide Michelin gelingt es oft gut, dies bis zum letzten Moment eine Überraschung werden zu lassen. Es gibt aber auch Ausnahmen, wo Restaurants bereits im Vorfeld bescheid wissen, aber zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

👉 Irrtum 3: Sterne können zurückgegeben werden 🔗

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Michelin-Sterne zurückgegeben werden können. Selbst unter Gastronomen und Köchen kursiert dieser Mythos. Doch ein Stern ist nichts anderes als ein im Guide Michelin neben dem Eintrag des Restaurants abgedrucktes oder online publiziertes Symbol. Es spiegelt die Einschätzung der Michelin-Inspektoren wieder, dass man als Gast in dem jeweiligen Restaurant eine besonders gute Küche erwarten darf. Diese Einschätzung kann naturgemäß nicht »zurückgegeben« werden – sie beruht auf bereits geschehener Arbeit.

Daran ändert auch die Existenz der Michelin-Plaketten nichts, die man seit einigen Jahren als vom Guide Michelin ausgezeichneter Gastronom erwerben und in seinem Restaurant anbringen (und theoretisch auch wieder entfernen) kann. Diese Plaketten sind nicht die Sterne, sie symbolisieren sie bloß. Ein Restaurant ist solange ein Sternerestaurant, bis der Guide Michelin es ggf. anders bewertet und dieses Ergebnis dann veröffentlicht. Und das geschieht nur einmal im Jahr.

Deklariert ein Gastronom etwa, er hätte die Michelin-Sterne »zurückgegeben« oder »abgelehnt«, und man findet als Leser des Guide Michelin nach wie vor das Sternsymbol neben dem Restauranteintrag, dann handelt es sich immer noch um ein Sternerestaurant.

Es gibt jedoch Nuancen bei diesem Thema. Zum Beispiel kann ein Koch oder Gastronom natürlich darauf »hinarbeiten«, dass der Guide Michelin sein oder ihr Restaurant nicht mehr mit Sternen auszeichnet, nämlich durch eine Konzeptänderung. Es können bspw. weniger exklusive Zutaten verwendet oder der Küchenstil so verändert werden, dass der Guide Michelin das Restaurant bei der nächsten Veröffentlichung nicht mehr mit Sternen bewertet.

💡 Aus der Praxis
  • Bras, Laguiole: Wie so oft, bestätigen Ausnahmen die Regel. Als sehr prominentes Beispiel ging Küchenchef Sébastien Bras aus dem damals noch mit drei Sternen ausgezeichneten Restaurant Bras im Jahr 2017 an die Öffentlichkeit und bat den Guide Michelin um eine Streichung aus dem Restaurantführer. Der damalige Direktor des Guide Michelin, Michael Ellis, ließ sich auf diese Bitte ein. Erst sein Nachfolger, Gwendal Poullennec, korrigierte diese fragliche Entscheidung. Seitdem ist das Restaurant wieder (und widerwillig) im Guide Michelin vertreten, allerdings nur noch mit zwei Sternen (Stand Oktober 2024).
  • Japan: Im Jahr 2019 wurden die damals mit drei Sternen ausgezeichneten Sushi-Restaurants Sukiyabashi Jiro und Sushi Saito komplett aus dem Guide gestrichen. Michelin erklärte den Schritt damals damit, dass die Restaurants praktisch nicht mehr von der Öffentlichkeit reservierbar waren und damit in einem Restaurantführer für Gäste keinen Platz mehr hätten. Dasselbe Schicksal ereilte vermutlich im Guide Michelin Tokyo 2025 dem Restaurant Makimura. Doch andere Fälle bleiben mysteriös: Die einst hochdekorierten Restaurants Iida, Maeda, Kitcho Arashiyama, Sushi Yoshitake und Azabu Yukimura sind inzwischen alle spurlos aus dem Guide Michelin verschwunden, obwohl sie durchaus noch für die Öffentlichkeit buchbar sind. Es kursiert daher das Gerücht, dass in Japan die Bitten um einen Ausschluss aus dem Guide Michelin vom Restaurantführer respektiert werden.

👉 Irrtum 4: »Sterneköche«, »Sterne mitnehmen« 🔗

Einer der größten Irrtümer um Michelin-Sterne ist, dass Köche mit Sternen ausgezeichnet werden. Tatsächlich zeichnet der Guide Michelin nur Restaurants aus – und keine Köche. Dies ist auch einfach nachzuvollziehen, denn der Guide Michelin ist ein Restaurantführer für Gäste. Als Leser und Nutzer eines Restaurantführers ist man in erster Linie an Restaurantempfehlungen interessiert, nicht an Namen von Köchen. Diese sind namentlich oft nicht einmal erwähnt, obwohl ihnen natürlich ein Großteil der Ehre gebührt.

Einen oder mehrere Sterne zu erkochen, ist jedoch vor allem eine Teamleistung. So sehr auch der Küchenchef oder die Küchenchefin die Verantwortung für die kulinarische Arbeit eines Restaurants trägt, kann sich jede Person, die in der Küche eines mit Sternen ausgezeichneten Restaurants kocht, ruhigen Gewissens als »Sterneköchin« oder »Sternekoch« bezeichnen.

Streng genommen ist man daher auch nur so lange »Sternekoch« oder »Sterneköchin«, wie man in einem Restaurant, das aktuell mit Sternen auszeichnet ist, tätig ist. In der Praxis wird diese Formulierung jedoch auch oft für Köche und Köchinnen verwendet, die innerhalb ihrer Karriere Restaurants zu Sternen geführt haben. Unter dieser Betrachtung kann jemand dann sogar auch mehr als drei Sterne ansammeln.

Dass Sterne nicht »mitgenommen« werden können, ist daher keine »Regel«, sondern ergibt sich allein aus der Tatsache, dass der Guide Michelin keine Köche, sondern Restaurants ausgezeichnet. Natürlich kann ein Koch sein Talent mitnehmen und in einem anderen Restaurant erneut Sterne erkochen. Dies würde der Guide Michelin in seinem jährlichen Besuchsturnus dann erneut feststellen und zum entsprechenden Veröffentlichungszeitpunkt verkünden. Der Guide Michelin führt jedoch nicht Buch darüber, welcher Koch gerade wo angestellt ist. Es geht immer nur um die Restaurants an sich.

💡 Aus der Praxis
The Table Kevin Fehling, Hamburg: Küchenchef Kevin Fehling führte bis 2015 die Küche des damals mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants La Belle Epoque in Travemünde. Noch im selben Jahr eröffnete Fehling das The Table Kevin Fehling in Hamburg, das im folgenden Guide Michelin auch sofort mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. Viele Medien stellten es damals so dar, dass das neue Restaurant in Hamburg von einem »Drei-Sterne-Koch« betrieben würde und es sich dementsprechend automatisch um ein Drei-Sterne-Restaurant handeln würde. Tatsächlich wurde das Restaurant erst durch die erstmalige Bewertung des Guide Michelin zu einem Drei-Sterne-Restaurant.

👉 Irrtum 5: Sternerestaurants sind förmlich und steif 🔗

Das Bild vom klassischen, luxuriösen Restaurant mit flüsterleiser Atmosphäre und Kellnern mit ernsten Mienen ist veraltet. Während solche Restaurants zwar nach wie vor existieren, sind viele gehobene Lokale heute offener und informeller als je zuvor. Zeitgemäße Sternerestaurants weltweit bieten oft eine lockere, ansprechende und charmante Atmosphäre – formelle Steifheit wünscht sich so gut wie niemand mehr.

Es gibt aber bedeutsame kulturelle Unterschiede. Im Rahmen eines traditionellen Kaiseki-Menüs in Japan zum Beispiel ist der Ablauf streng geregelt und Förmlichkeit ein Teil der Erfahrung. Auch in Deutschland hat man vielerorts noch immer Mühe, gehobene Küche mit souveräner Lässigkeit zu verbinden, so, wie es bspw. in den USA oft gelingt.

Die Ursache von Förmlichkeit liegt nicht in etwaigen Michelin-Sternen, sondern in der lokalen Gastronomiekultur. Länder, in denen man häufiger auswärts Essen geht, haben grundsätzlich eine lebhaftere, dynamischere Restaurantszene. In Städten wie Kopenhagen, Barcelona oder New York sind Sternerestaurants oft sehr atmosphärisch, zwanglos und alles andere als steif. Der Begriff »Sternerestaurant« ist vielerorts nicht gleichbedeutend mit Förmlichkeit und auch kein Begriff für einen bestimmten Typus Restaurant.

Letztlich hängt auch viel vom Gast ab. Wer Freundlichkeit, Offenheit und Humor mit in ein Restaurant bringt, bekommt in der Regel auch genau das zurück. Wenn nicht, läuft zweifellos etwas schief.

💡 Aus der Praxis
  • Torrisi, New York City: Eine lebhaftere urbane Atmosphäre als bei diesem Szeneitaliener in New York ist kaum vorstellbar. Es ist laut, die Tische sind eng gestellt, das Interieur ist mit gedämpftem Licht und offenem Mauerwerk besonders atmosphärisch. Es herrscht eine pulsierende Stimmung, unterstützt durch die lebhaften Gespräche, die umherschwirrenden Keller und ein kurzweiliges Kommen und Gehen illustrer und vielfältiger Gäste. Dazu gibt es eine besternte, aber unkomplizierte italienische Küche. Ein wunderbarer Ort!
  • Nobelhart & Schmutzig, Berlin: Das auf ein Menü mit regionalen Zutaten spezialisierte Restaurant hat in Deutschland Pionierarbeit in Bezug auf Lockerheit in der gehobenen Gastronomie geleistet. Man sitzt an einem breiten Tresen um eine offene Küche herum, das Licht ist warm und schummrig, es läuft handverlesene Musik vom Plattenspieler, und Inhaber Billy Wagner ist gleichzeitig Sommelier, Gastwirt und Entertainer. Ein rundum stimmiges Konzept.

👉 Irrtum 6: Sternerestaurants sind teuer 🔗

Gute Qualität hat ihren Preis – das ist soweit nachvollziehbar. Aber Michelin-Sterne gehen nicht zwangsläufig mit maßlos teurem Essen einher (s. Irrtum 1: Nur luxuriöse Restaurants werden mit Sternen ausgezeichnet). Je nach Land und Region sind die Zusammenhänge zwischen besternter Küche und gehobenem Gastronomiekonzept zudem unterschiedlich stark ausgeprägt.

Der Guide Michelin ermöglicht auf seiner Website, Restaurants nach vier Preiskategorien zu durchstöbern, von der ersten Kategorie (»für jedes Budget«) bis zur vierten (»ein bisschen Wahnsinn«). Kombiniert man diese Kategorien mit Michelin-Sternen ergibt sich ein klares Bild: Je mehr Sterne, umso teurer die Restaurants.

Das bedeutet jedoch nicht, dass man in jedem Sternerestaurant ein horrend teures Menü mit luxuriösen Zutaten verzehren muss. Es gibt viele Restaurants, die preiswerte Speisen à la carte anbieten, vergünstigte Mittagsmenüs, spezielle Angebote für junge Menschen usw.

Zudem bieten einem Sternerestaurants wunderbare Erlebnisse. Man kann Zutaten in ungeahnten Qualitäten kennen lernen, sich für Produkte begeistern, die man vielleicht noch nie gegessen hat, makelloses Küchenhandwerk bestaunen und durch all diese Dinge großen Genuss und viel Freude erfahren. Lebhafte Atmosphären, ästhetische Einrichtungsdetails und ein kurzweiliger und humorvoller Austausch mit dem Service tragen im besten Fall zusätzlich zum Erlebnis bei. Oft erlebt man dabei Momente, von denen man lange zehren kann. Wie viel einem so etwas wert ist, ist oft eine Frage der persönlichen Prioritäten.

💡 Aus der Praxis
  • Hill Street Tai Hwa Pork Noodle, Singapur: Der familiär geführte Imbiss serviert das traditionelle Nudel-mit-Fleisch-Gericht Bak Chor Mee für umgerechnet deutlich unter zehn Euro. Man steht lange in der Schlage, um es sich abzuholen und verzehrt das Gericht auf einem der Plastikstühle vor dem Restaurant. Kein Service, kein Wein, kein WC. Aber ein Michelin-Stern.
  • Jade Dragon, Macau: The French Laundry in Yountville, Kitcho Arashiyama in Kyoto, Masa in New York – hier ist es kaum möglich, unter tausend Euro pro Kopf das Restaurant zu verlassen, bei moderatem Getränkekonsum, wenn überhaupt. Das ist »ein bisschen Wahnsinn«, um es mit den Worten des Guide Michelin auszudrücken. Doch den vielleicht skurrilsten Preis, den ich auf einer Speisekarte je gesehen habe, war im Restaurant Jade Dragon in Macau. Dort gibt es ein Gericht mit Fischblase, welches umgerechnet knapp zweitausend Euro kostet. Ich habe es nicht probiert. Das wäre nun wirklich kompletter Wahnsinn.

👉 Irrtum 7: Michelin-Sterne werden von Land zu Land unterschiedlich vergeben 🔗

Laut Guide Michelin sind die Bewertungskriterien für Restaurants weltweit einheitlich. Dass einem als Restaurantgast in unterschiedlichen Ländern auch unterschiedliche Gastronomiekonzepte begegnen, liegt in der Natur der Sache.

Natürlich muss beispielsweise ein Sushi-Restaurant auf andere kulinarische Aspekte überprüft werden als ein französisches Restaurant. Und dass es kaum besternte Sushi-Restaurants in Europa gibt, liegt nicht an anderen Bewertungsmaßstäben, sondern allein an der Tatsache, dass es in Europa viel weniger solcher Restaurants gibt, erst Recht auf hohem Niveau.

In einigen Regionen entsteht dennoch manchmal der Eindruck, dass andere Maßstäbe gelten. Würde das Essen des oben bereits erwähnten Straßenimbisses in Singapur auch einen Stern bekommen, wenn es in Paris wäre? Vermutlich nicht. Es gibt solche Inkonsistenzen, aber im Großen und Ganzen ist der Guide Michelin ein verlässlicher Wegweiser für gute, sehr gute und herausragende Küche, ganz gleich, wo man sich auf der Welt befindet.

💡 Aus der Praxis
L’Atelier de Joël Robuchon, Hongkong: Die Ateliers von Joël Robuchon sind auch nach dem Tod des Jahrhundertkochs ein Paradebeispiel für lässige Spitzengastronomie. Das Konzept ist, trotz inzwischen unterschiedlicher Eigentümerverhältnisse, rund um die Welt dasselbe, sogar die Speisekarten ähneln sich. Dennoch ist die Filiale in Hongkong als einzige mit drei Michelin-Sterne ausgezeichnet. Dies ist jedoch nicht das Ergebnis einer großzügigeren Bewertung. In keinem anderen »Atelier« habe ich Gerichte mit derart herausragenden Zutaten genossen.

Zu guter Letzt …

Meine Einschätzungen und Fakten basieren auf meinen jahrelangen Erfahrungen als Gast in Spitzenrestaurants auf der ganzen Welt sowie auf intensiver Auseinandersetzung mit dem Guide Michelin. Ich habe jedoch keinerlei Verbindung oder offizielle Beziehung zum Guide Michelin. Alle hier geteilten Informationen spiegeln ausschließlich meine eigenen Beobachtungen und Meinungen wider.