Enoteca Pinchiorri – Bling-Bling
Ein palastartiges Gebäude aus dem 18. Jahrhundert in Florenz nahe der Basilica di Santa Croce beherbergt heutzutage ein Luxushotel sowie das berühmteste Restaurant der Stadt, die Enoteca Pinchiorri.
Die Inhaber des prachtvollen Etablissements sind Girogio Pinchiorri, der mir heute Abend in weißem Anzug und roten Schuhen begegnet, und seine Frau Annie Féolde, gebürtige Französin aus Nizza und die erste Köchin, deren Restaurant außerhalb Frankreichs mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. Das war 1993. Nur zwei Jahre später verlor das Restaurant den jüngst akquirierten dritten Stern wieder und musste bis 2004 wieder auf diese Auszeichnung warten – ein eher seltenes Bewegungsprofil im Guide Michelin.
Eine weitere Besonderheit dieses Restaurants ist der Weinkeller, der zu einem der umfangreichsten und wertvollsten der Welt zählt. Mindestens 70.000 Flaschen sind hier gelagert, das meiste davon große Spitzengewächse aus Frankreich und Italien in lückenlosen Jahrgängen bis ins frühe 20. Jahrhundert und noch weiter zurück. Die Preise sind entsprechend astronomisch, was nicht nur an den Aufschlägen liegt, sondern an den wertvollen Weinen an sich. So ist kaum eine Flasche unter 300 Euro zu finden, Weinbegleitungen gibt es für bis zu über 6.000 Euro. Da fühlt man sich selbst als „unknauseriger“ Genießer wie ein Obdachloser bei Prada. Eine Wasserkarte mit Flaschenpreisen bis zu € 120 („Bling h2o“) gibt diese Gaststätte schließlich der Lächerlichkeit preis.
Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass mir in einem derartigen Angeber-Ambiente recht schnell die Lust vergeht, hier überhaupt jemandem Geld in den Rachen zu schmeißen. Aber nun bin ich hier, was soll’s.
Ich bestelle von allem das geringste Übel: einen sehr guten offenen 2014 Saint-Aubin von Marc Colin (€ 25), das günstigste Wasser für € 10 und einen 2011 Tignanello, der mit € 225 zwar alles andere als günstig ist, mir in diesem Kontext jedoch als eine sichere Bank erscheint.
Die Speisekarte ruft – für italienische Verhältnisse – auch recht selbstbewusste Preise auf. Es gibt Menüs bis € 335 und einen A-la-carte-Teil mit Gerichten, die fast alle auf die dreistellige Preisgrenze zielen. Ich wähle verschiedene Gänge aus der Karte.
Als Amuse-Bouches gibt es einen recht trockenes Parmesan-Küchlein, bei dem man nicht einatmen sollte, wenn man es isst, weil man sich sonst heftig an dem zu Feinstaub verarbeiteten Käse verschluckt (6/10), dann eine moderne Interpretation von Panzanella, dem toskanischen Brotsalat, hier als zylinderförmiges Gebäck mit flüssigen, kühlen, sehr aromatischen Füllungen und einem Geschmack nach Tomate, Gurke und Sommer (9/10).
Ein weiteres Amuse ist Oktopus, exzellent zart gegart und mit angenehmen Röstaromen, dazu Pfifferlinge, Lachsrogen und eine Knoblauch-Creme. Simpel, aber mit einem klaren Geschmacksbild und hervorragenden Rohstoffen. (8/10)
Erster Gang ist eine Seebrassenart, roh mariniert in Zitronenverbene und Minze, dazu Wildreis, Avocadocreme und Seeigel als Saucentupfer (€ 80). Der Fisch ist völlig fad (von der interessant klingenden Marinade keine Spur) und hat eine lasche Temperatur ohne Aussage. Der Wildreis dazu ist völlig fehl am Platz und bleibt trocken im Hals stecken. Eine Zumutung. Mindestens vierzig Euro bleiben auf dem Teller liegen, was hier niemanden auch nur ansatzweise interessiert. Hier wird man vermutlich nur ernst genommen, wenn man Château Pétrus bestellt. (5/10)
Es folgt ein Risotto mit Basilikum und Zitrone, Baby-Tintenfisch und Kaviar (€ 90). Die Textur vom Reis ist gut, hätte allerdings ruhig noch einen Hauch mehr al dente sein dürfen. Die frischen Zitronen- und Basilikumaromen kommen im Gericht sehr gut zum Vorschein, und die Tintenfische passen dazu exzellent, doch hätten diese deutlich von Röstnoten profitiert. Das mangelnde Salz im Gericht macht der Kaviar einigermaßen wett. Handwerklich und gustatorisch etwas holprig, dennoch exzellent. (8/10)
Spaghetti „alla chitarra“ mit verschiedenem Meeresgetier (erneut die kleinen Tintenfische, Muscheln, Kaisergranat und Bottarga) sowie Brotkrumen (€ 75) ergeben einen absolut hervorragenden Pastateller. Die hausgemachten Spaghetti mit Ei sind perfekt gekocht und nehmen durch die Brotkrumen und ihre leicht raue Oberfläche viel des süffigen, ätherischen Suds auf. Das ist ein wahres Wohlfühlgericht auf absolut hohem Niveau. (9/10)
Zum Ferkel von makelloser Qualität, saftig und zart (und mit sehr harter Kruste) gibt es Karotten mit Kreuzkümmel, Schalotten und einen Bratenjus mit viel Thymianaroma. Das ist italienisch-puristisch, aber man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen. Mit drei Michelin-Sternen hat ein solches Gericht wenig zu tun. Dafür kann zwar das Restaurant nichts, aber es kann schon etwas für die neunzig Euro, die für diesen mickrigen Teller anfallen. (7,5/10)
Ich möchte jetzt eigentlich nur noch schnell das mit der schmerzhaften Rechnung hinter mich bringen. Gegen etwas Schokolade kann ich mich trotzdem nicht wehren, sie ist in Ordnung.
Das Restaurant hat eines der schlechtesten Preis-Leistungs-Verhältnisse, die ich je erlebt habe. Das Essen war ziemlich inkonsistent, bot kaum ein nennenswertes Highlight, und all das zu horrenden Preisen. Eigentlich schade: in der Küche kochen sicherlich passionierte Menschen, die auch Freude am Genuss haben. Doch eine solche Leidenschaft sucht man hier vergebens. Sie geht unter in einer befremdlichen Atmosphäre, geprägt von Profitgier, Desinteresse und Mittelmäßigkeit. Bloß weg hier.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Enoteca Pinchiorri (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Alessandro della Tommasina |
Ort: | Florenz, Italien |
Datum dieses Besuchs: | 20.10.2016 |
Guide Michelin (I 2016): | *** |
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