El Celler de Can Roca

Die erste Reservierung meiner aktuellen Reise an die Costa Brava führt mich am heutigen Abend in eines von Spaniens derzeit am höchsten dekorierten Restaurants, dem El Celler de Can Roca in Girona.

Nur einen Steinwurf neben dem traditionellen Restaurant der Familie Roca, führen die drei Brüder Joan, Josep und Jordi seit 1986 die Familientradition mit ihrem El Celler de Can Roca fort und haben 2007 – einen weiteren Steinwurf entfernt – ein komplett neues Gebäude für ihren jetzigen Gourmettempel errichtet. Das architektonische Ergebnis ist sehr beeindruckend. Der dreieckige Speisesaal wurde um einen ebenfalls dreieckigen, komplett verglasten Innenhof mit Bäumen konstruiert, sodass man den Eindruck gewinnt, direkt neben oder in einem Wald zu speisen. Holzlamellen, helle Farbtöne, indirektes Licht und spannende Reflexionen in den Glaselementen vervollständigen das fesselnde Ambiente.

Natürlich ist eine solch imposante Kulisse auch eine Aussage – und zwar nicht nur die offensichtliche, dass sich der Gast hier wohl fühlen soll (das wäre dann wie mit den Kanonen und den Spatzen), sondern in erster Linie die, dass auf dieser Bühne ganz offensichtlich etwas Beeindruckendes stattfindet. So schürt der Gast unweigerlich die Hoffnung auf ein Essvergnügen von bisher nicht erlebter Güte.Drei Michelin-Sterne seit diesem Jahr und Platz 4 der „World’s 50 Best Restaurants“ sind zwar kein Garant für die Erfüllung dieser Hoffnung, aber üblicherweise ein äußerst gewichtiger Indikator. Gut, dass ich hierfür nicht meine Hand ins Feuer gelegt habe – ich hätte sie mir heute Abend kräftig verbrannt.

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Zusammen mit einem Gläschen vom akzeptablen Haus-Cava (der auch aufs Haus geht), wird die Speisekarte gereicht, die zwei Menüs zur Auswahl anbietet. Ich entscheide mich für das „Menu Festival“ (€ 145) mit unzähligen, vielversprechenden Gerichten. Auf eine ausgiebige, lukullische Verkostung eingestellt, ordere ich auch schon mal zwei Flaschen aus jeweils einer der beiden Weinkarten (eine für Rot-, die andere für Weißwein), die so groß und schwer sind, dass man einen zweiten Tisch bräuchte, um in ihnen zu stöbern. Aber das ist auch schon das einzige Manko der Karten, die inhaltlich sehr ansprechend sind, mit dem Fokus auf Spanien und Frankreich, und preislich, wie in Spanien üblich, sehr fair auf diesem Niveau. Weine wie ein Puligny-Montrachet „Clavoillon“ 2004 von der Domaine Leflaive (€ 95) und einen Flor de Pingus 2004 (€ 100) findet man auf den meisten Weinkarten, die solche Weine beherbergen, für ein Vielfaches. Die beiden Flaschen werden gebracht und schon mal geöffnet.

Währenddessen sorgt das erste Essbare für meine Aufmerksamkeit: es geht los mit den „Snacks“.

Snack 1:Caramelized Olive. Ein Miniatur-Olivenbaum, der von einem Kellner mit karamellisierten grünen Oliven behängt wird, steht vor uns auf dem Tisch. Die Oliven (zwei pro Person) sind recht puristisch und zwingen mich dazu, sie mit der karamellisierten Kalamata-Olive von Sven Elverfeld zu vergleichen, die im Aqua regelmäßig als erster Snack serviert wird. Und wenn man einmal abgespeichert hat, welcher Hochgenuss eine einzelne karamellisierte Olive sein kann, lässt sich diese Erinnerung glücklicherweise nicht auslöschen. Die heutigen Oliven überschreiben diese Erinnerung nicht.

Snack 2: Bellini bombon. Zwei hauchdünne kugelförmige Pralinen, mit Bellini gefüllt und irgendwie auch umhüllt, werden eisgekühlt serviert und schnell gegessen. Ich finde es etwas merkwürdig, jetzt etwas Frisches zu servieren, aber es geht ja auch gleich schon weiter mit Snacks 3 und 4, Anchovy bonessowie Black sesame and cocoa cookie.

Die auf einem Brett mit Teilen eines Fischfangnetzes (natürlich nur als Dekoration) servierten Anchovis-Skelette wurden offenbar – zusammen mit ein paar Algen – lyophilisiert (gefriergetrocknet). Sie sind dadurch angenehm leicht, kross und schmecken nach Meer. Ein origineller Snack, jedoch kein großartiger. Den dazu servierten Keksen aus schwarzem Sesam und Kakao fehlt es komplett an Überzeugungskraft. Sie sind hart, krümelig und schmecken wie etwas, das man im Ofen vergessen hat.

Nach diesen vier ersten Snacks, die mich bisher weder konzeptionell noch geschmacklich begeistern konnten, bin ich etwas enttäuscht, dass sich bei mir an dieser Stelle bereits der Wunsch nach einer deutlichen Genusssteigerung einstellt. Das Bisherige war alles irgendwie in Ordnung bis gut, aber weit entfernt von begeisterungsfähig. Es existieren Restaurants, bei denen man auf Genuss nicht lange warten muss. Hier werde ich etwas ungeduldig.

Snack 5 gelangt an den Tisch: Brioche with porcini and pot au feu broth. Rechts ein Klecks fast rohen Briocheteigs mit einem kleinen Stück Steinpilz obenauf, links ein Schälchen mit einer klaren Brühe. Beides uninteressant.

Snack 6, Smoked herring caviar omelette, ist zwar „gut“, aber jedes weitere Wort darüber wäre zu viel verloren. Snack 7, Pigeon parfait, probiere ich nicht – ich habe eine Abneigung gegen diese Tiere und finde es dem Genuss grundsätzlich nicht abträglich, auf sie oder Teile von ihnen zu verzichten. Aber dafür kann hier niemand etwas.

Nach diesen sieben Kleinigkeiten, von denen keine wirklich überzeugen konnte, weicht die Freude auf den Rest des Menüs endgültig einer Hoffnung auf Besserung. Eine Hoffnung auf eine Küche, die geschmacklich und kreativ begeistern kann; auf Gerichte, die man noch einmal essen möchte (und dann noch mal), die durch ihre Komposition und Aromen Erinnerungen und Emotionen wecken, und die das Hirn deshalb unweigerlich ins Langzeitgedächtnis einbrennt. Meine Erwartungshaltung ist dabei nicht einmal aus der Luft gegriffen: auf ihrer eigenen Website beschreiben die Rocas genau solche Erfahrungen als Mittelpunkt ihres Konzepts.

Das eigentliche Menü beginnt: „Escalivada“ with anchovies and smoke of ember. Charcoal-grilled eggplant, pepper, onion and tomato. Dieses Gericht ist eine Interpretation eines typischen Gerichts der katalanischen Küche, bei dem verschiedene Gemüse, speziell die hier servierten (Aubergine, Paprika, Zwiebel, Tomate), ganz simpel über Holzkohle oder in heißer Asche gegart werden.

Das Gericht wird unter einer Cloche serviert, aus der dann Dampf mit den entsprechenden Aschearomen entweicht – natürlich nicht so beißend wie die echte Variante, sondern als schmeichelhafte Vorbereitung des Geruchssinns auf die Aromen im Gericht. Es gelingt hier, modern zu interpretieren und das Wesentliche dieser traditionellen Zubereitung in den Mittelpunkt zu stellen.

Der nächste Gang, Figs with foie gras, besteht aus gelierter und auch flüssiger Gänsestopfleber, dazu wird eine mit Sherrygelee belegte Feige serviert und ein grünes Kraut. Die Foie Gras, die ich in einem festeren Aggregatzustand deutlich bevorzuge, ist fast geschmacklos – ich frage mich, wo die Aromen verlorengegangen sind. Ist es bereits das Ausgangsprodukt? Oder ist es eine nicht gekonnte Anwendung der Verflüssigung- und Gelierungsmethoden? Auch das Sherrygelee ist so neutral wie die Feige, mit der nichts weiter gemacht wurde als sie zu einem Achtel zu schneiden, und kann die Frucht damit nicht aufwerten. Das Gericht versagt komplett.

Es folgt Charcoal-grilled king prawn with acidulated mushrooms juice. Das Gericht, das von oben betrachtet wie ein Fisch aussieht, offenbart sich als weiterer Fehlgriff. Den roh servierten Langusten läuft nach einer Weile das flüssige Hirn in den faden Pilzsud. Noch etwas Rauke dazu? Die Kellner räumen nach einer Weile die noch sehr vollen Teller wieder ab und schweigen. Auch mir fehlen die Worte.

Die beiden vergangenen Gerichte waren eine Zumutung. Ich bin aufgebracht, möchte gehen, mein Geld zurückverlangen. Meine Begleitung und die wunderbaren, gerade erst angebrochenen Weine halten mich letztendlich davon ab. Ich lasse jetzt nur noch über mich ergehen.

Mein Wasserglas ist leer; ich bitte um Nachschub.

Onion Soup, Crespià walnuts and Comté cheese werden serviert. Dies ist ein gutes, kleines Gericht ohne Makel und wesentlich präziser und harmonischer als alles Vorangegangene. Aber ich habe bisher sehr viel Flüssiges gegessen. Wirklich glücklich macht dieses Süppchen jetzt auch nicht.

Die Sole, olive oil and Mediterranean flavours ist ebenfalls gut; hier überzeugen in erster Linie die verschiedenen Saucen mit unterschiedlichen, klaren Aromen (ich habe sie nicht mehr alle in Erinnerung). Das Seezungenfilet ist – Analog zur Mittelmeerküche – sehr puristisch gehalten.

Gang sechs des Menüs, Baby squids with onion rocks gefällt mir sehr gut, hier wird endlich auch mal etwas mit Texturen gespielt; die leicht krossen Zwiebeln passen gut zu den perfekt zart gegarten Tintenfischchen. Der aufgeschäumte Sud passt zwar, ist aber geschmacklich sehr ähnlich zu vorherigen Jus und Saucen.

Ein weiteres Fischgericht folgt, Red mullets with suquet (Catalan seafood stew) and lard. Eine fast rohe Rotbarbe, die mit ihrer eigenen Leber gefüllt ist, wird in dem Sud eines katalanischen Eintopfs serviert. Dieser besteht üblicherweise aus diversen Meeresfrüchten, Mandeln, Shrimps, Tomaten, Zwiebeln, Kräutern usw. Leider ist mir das gesamte Gericht zu „fischig“, es erinnert alles irgendwie an Lebertran. Ich lasse leider erneut etwas vom Gericht übrig.

Als nächstes kommt ein Steak tartare with mustard ice cream / Spiced tomato, caper compote, pickles and lemon, hazelnut praline, meat béarnaise sauce, Oloroso-sherry raisin, chives, Sichuan pepper, Pimentón de La Vera (D.O.) smoked paprika and curry, small scopps of mustard ice cream and mustard leaves. So steht es auf der Karte. Kurzum: Eine tolle Zutatenliste, die man geschmacklich leider nicht so wiederfindet (andersherum hätte ich es präferiert). „Viel Lärm um nichts“ wäre für diesen Akt eine passende Umschreibung. Ein klassischer Tatar in einem französischen Bistro ist häufig besser.

Das nächste Gericht ist ebenfalls ein Fleischgericht: Lamb with peach terrine and apricot. Dem geschmorten oder anderweitig hervorragend zart gegarten Lamm fehlt es leider komplett an Salz. Auch die Saucen, die entweder dazu zu fruchtig sind oder zu schwach, können von diesem Mangel nicht ablenken. Schade, ansonsten wäre es recht gut gewesen.

Es ist inzwischen bereits nach Mitternacht, und es geht über zu den Desserts. Wirklich Großes hoffe ich derweil schon längst nicht mehr. Den Anfang macht hier ein Lemon-distillate sorbet – ein irgendwie bearbeitetes Zitronensorbet wird zusammen mit Zitrusfrüchten in einer Art Bargamotte-Wasser serviert. Hart, kalt und wässrig sind meine ersten Assoziationen. Dazu wird ein Papierhut serviert, der mit einem analog zu diesem Dessert zusammengestellten Parfum parfümiert ist. Der Zusammenhang zwischen Geschmack und Geruch soll damit wohl verdeutlicht werden. (Das El Celler de Can Roca ist bekannt dafür, einige Desserts anhand von bekannten Parfums zu entwickeln. Dies hier ist dann der umgekehrte Weg.) Eine überflüssige Beigabe. Ich verkneife mir die Frage, ob man das Parfum jetzt kaufen soll.

Dessert Nummer zwei ist das Rosesoufflé, eine luftige Creme mit Rosenpulver. Sehr simpel im Geschmack; belanglos.

Das letzte Gericht des Menüs ist dann Vanilla, caramel, liquorice, dried and caramelised black olives. Das Vanilleeis, das wie ein Wachtelei aussieht, ist sehr gut: cremig, vanillig, wie ein hausgemachtes Vanilleeis eben schmecken sollte. Die weiteren Zutaten sind etwas merkwürdig zu essen, aber in Ordnung.

Um viertel vor eins werden dann noch einige Pralinés in einer Schachtel inklusive Beschreibung serviert. Sowohl handwerklich als auch geschmacklich sind diese das Beste am ganzen Menü, aber wegen Pralinen bin ich hier nicht hergekommen.

Als uns der Kellner später fragt, ob es uns gefallen hat, zögere ich kurz, lasse mich jedoch dann auf einen etwas längeren Dialog ein. Ich erkläre ihm, dass es uns gefallen hat (der Höflichkeit halber), aber weit hinter meinen Erwartungen lag. Ich versuche, die Fehler einiger Gerichte zu beschreiben; versuche, klarzumachen, dass vieles „einfach nicht gut geschmeckt“ hat – trotz vieler interessanter Ideen. Ich beschreibe, dass es aus meiner Sicht nicht ausreicht, klassische Gerichte neu zu interpretieren, wenn sowohl Küchentechniken als auch die eingesetzten Produkte und Geschmackskompositionen dabei versagen.

Angesichts meiner Enttäuschung, einiger Sprachbarrieren, der fortgeschrittenen Uhrzeit und der zwei Flaschen Wein ist das alles jedoch nicht so einfach zu vermitteln. Sichtlich bestürzt nimmt er jedoch die Kritik zur Kenntnis und die bedauerliche Tatsache, dass er uns leider nur noch mit einem Taxi etwas Gutes tun kann.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: El Celler de Can Roca (→ Website)
Chef de Cuisine: Joan Roca
Ort: Girona, Spanien
Datum dieses Besuchs: 21.10.2010
Guide Michelin (ES 2010): ***
Meine Bewertung dieses Essens 5 (Was bedeutet das?)